Alles, was Recht ist

„Paparazzo“-Skulptur in Bratislava. Foto: Dickers

Vergangene Nacht wurde ich um Zwei Uhr wach. Ich hatte mir vorsichtshalber den Wecker gestellt.
Die Straßenlaterne vor meinem Schlafzimmerfenster brannte wie immer, obwohl ich denen bei der Stadt Zuständigen wiederholt erklärt habe, welcher Unfug es ist, nachts mein Schlafzimmer zu erleuchten. Nichts hat sich getan. Die Lichtan- und -ausmacher haben taube Ohren. Verantwortungsbewusste Bürger werden nicht ernst genommen.
Diskutieren? Zwecklos. Alle verstecken sich hinter gesetzlichen Vorgaben. An Einsicht appellieren? Sinnlos. Meine akribisch geführten Aufzeichnungen, wie oft nachts jemand an meinem Haus vorbeigeht und die Laterne benötigt, werden ignoriert. Ich kämpfe gegen Windmühlenflügel. Müssen die zwei Männer und die eine Frau, die ich gestern zwischen ein und vier Uhr gezählt habe, nachts etwas sehen können? Können sie nicht warten, bis es hell ist? Nein, sie brauchen Straßenlaternen. Bezug zur Wirklichkeit? Fehlanzeige. Irrsinn hat Methode. Wer bezahlt die Stromkosten? Ich. Von meinen Steuern. Ist das gerecht?

Gerecht ist es natürlich, dass ich seit einem halben Jahr das Schlagloch vor meiner Garage dulden muss. Zweimal in diesem Winter bin ich schon mit dem Auto aus der Garage gefahren. Dass ich heil herausgekommen bin, verdanke ich dem Umstand, dass das Loch nicht zu groß ist. Ich weiß nicht, ob ich mir ein Bein gebrochen hätte, wenn nicht die Laterne dort stehen würde. Glauben die beim Amt, dass ich nur dann glücklich bin, wenn ich unglücklich bin? Dass die Laterne nur kümmerlich vor sich hin flackert und eine Taschenlampe den gleichen Dienst tun würde, interessiert natürlich niemanden.

Als ich den im Amt dafür Zuständigen anrief, um ihn darauf aufmerksam zu machen, fragte er, wer zuerst dagewesen sei: das Loch oder die Laterne. Niemand könne zwei Probleme auf einmal lösen. Er irrt, wenn er glaubt, seine Antwort habe etwas mit sachgerechter Information zu tun. Wichtiges von weniger Wichtigem oder Unwichtigem unterscheiden zu können, kann er nicht. Oder will er sich mit seiner Laterne ein leuchtendes Denkmal setzen? Dürfen solche Leute unsere Ämterstühle besetzen und ihr Recht auf Dummheit wahrnehmen? Ich werde ihn nicht mehr anrufen, sondern übergehen wegen seiner Bedeutungslosigkeit.
Es wird sich nichts ändern. Für mein gutes Recht darf ich bezahlen, bekomme es aber nicht. Ist das gerecht?
Meinem Nachbarn werfen sie alles nach, wenn er meint, benachteiligt zu werden. Seit wenigen Wochen wohnt er hier. Ein Mann mit ausländisch klingendem Namen. Solche Leute erregen Aufmerksamkeit. Ihnen wird geholfen, selbst wenn sie nicht danach gefragt haben. Meine Vorfahren sind auch hier eingewandert. Sie wohnten zwei Häuser weiter und brauchten eine größere Wohnung. Keiner hat sich gerührt. Es geht nicht gerecht zu.
Die Wohnungsmieten kann sich kaum einer leisten. Eine Studentin, die das Zimmer mieten wollte, lehnte dankend ab, als ich vierhundert Euro im Monat von ihr verlangte. Habe ich die Mietpreise erfunden? Undankbar war sie auch noch, als ich ihr anbot, mein Badezimmer benutzen zu dürfen. Sie verzichtete. Wir hatten früher kein Badezimmer, habe ich gesagt. Als sie mich fragte, wofür ich jetzt eines brauche, habe ich ihr die Tür gewiesen. Von Respekt hat sie noch nichts gehört. Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige. Studieren wollen alle, am liebsten auf meine Kosten. Von Gerechtigkeit in unserem Land keine Spur.

Alles, was Recht ist: Das geht so nicht weiter. Wer nicht tut, was er tun kann, tut Unrecht – auf Marc Aurel, den römischen Kaiser kann ich mich berufen, der das schon vor zweitausend Jahren gewusst hat. Mir wird es schwergemacht, das Richtige auch durchzusetzen. Wer Recht hat, steht allein da. Recht zu haben ist nicht das, wofür einen die Menschen lieben. Ob man mir einmal dankbar sein wird, dass ich Recht hatte und für Recht und Gerechtigkeit gestritten habe? Auf ein Verdienstkreuz werde ich vergeblich warten.
Übrigens: Das Licht vor meinem Fenster brennt nachts immer noch, obwohl ich in der vergangenen Woche zwischen ein und vier Uhr keine Menschenseele auf der Straße gesehen habe. Ich werde etwas unternehmen müssen.

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