Maßgeschneidert

Wann setzte erstes Grollen ein? Wann zeigten sich Haarrisse, die den Anfang vom Ende meines priesterlichen Weges andeuteten?

Noch nicht. Nach Ende des Universitätsstudiums siedelte ich ins Priesterseminar über, wo ich bis zur Priesterweihe vier Semester zu absolvieren hatte, vorwiegend mit pastoraltheologischen bzw. Liturgie-bezogenen Vorlesungen und Seminaren.

Die dort geltende „Ordnung der Vita Communis“ wurde mir auf dem Postweg nach Hause zugeschickt, wo ich die Zeit zwischen Studienabschluss und Eintritt ins Seminar verbrachte. Vielleicht war der postalische Weg ein Denk-Zettel, um mich zu vergewissern, worauf ich mich in den kommenden beiden Jahren einließ. Meine an Ermahnungen zu ewiger Demut orientierte Seele widersetzte sich nicht.

„Die Ordnung des gemeinsamen Lebens im Priesterseminar steht im Dienst der Frömmigkeit, der Bruderliebe, des Studieneifers und der aszetischen Lebensführung des zukünftigen Priesters“, las ich. In der Folgezeit entfaltete der Vermerk „Ihre Beobachtung ist ein Kriterium des Gehorsams, des Opfersinns, der Gewissenhaftigkeit und der Einordnungsfähigkeit“ seine wirkliche Bedeutung.

Einige Wochen vor Beginn der Seminar-Zeit war Heinrich Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ erschienen. Schon der Vorabdruck in einer großen Tageszeitung löste Diskussionen aus. Das Buch wurde wegen seines „Anti-Katholizismus“ von katholischen Buchhandlungen boykottiert. Böll verwahrte sich dagegen. Er wollte nicht mit der Hauptperson seines Romans, Hans Schnier, identifiziert werden. Es half ihm nicht.

Den späteren Literatur-Nobelpreisträger, der in einem katholisch geprägten Milieu aufgewachsen war, schätzte ich. Dass Böll sich nicht vereinnahmen ließ, auch nicht von seiner Kirche, erregte Unwillen. Dass er ihr empfahl, Gehorsam durch Vertrauen zu ersetzen, machte ihn nicht beliebter. Die Clown-Ansichten nahm ich mit ins Seminar.

Fast gleichzeitig ging ein weiterer Aufschrei durch die katholische Landschaft über Rolf Hochhuths Werk “Der Stellvertreter“. Attackiert wird darin das Verhalten der Katholischen Kirche in den Jahren der Juden-Verfolgung. Papst Pius XII. habe nichts gegen die Deportation der Juden ins Vernichtungslager Auschwitz unternommen, unterstellte Hochhuth. „Ein christliches Trauerspiel“, so die Theaterversion des Stellvertreters. Der Vorwurf, Nichtstun komme Mittun gleich, wog schwer.

Das Hochhuth-Theaterstück ging nicht mit ins Seminar, trotz seiner Zeitgeist-Aktualität. Vielleicht fühlte ich mich überfordert. Vielleicht leuchteten Warnlampen auf.

Das Gemeinschaftsleben war an eine verbindliche Kleiderordnung gekoppelt. Gemeinschaft der Gleichen. Der vorgegebene Dress-Code sollte das Gefühl der Zusammengehörigkeit fördern. „Die Herren kommen in geistlicher Kleidung. Diese muss schwarz sein, der Mantel wenigstens dunkel grau.“ Maßgeschneidertes System. Bezweckte die genormte Kleidung Schutz oder Distanzierung? Erleichterte sie der Obrigkeit die Identifizierung des Einzelnen nach dem Prinzip „Kennt man einen, kennt man alle“? Verbargen sich dahinter Abgrenzungsrituale, die es erleichterten, uns auf einen Verhaltenskodex einzuschwören?

Diese Fragen habe ich vermutlich anfangs nicht gestellt. Sie tauchten allmählich auf. Böll und Hochhuth brachten sich in Erinnerung.

Klerikale Kleidung zu tragen galt als Vorschrift, die mit den genannten Kriterien des Gehorsams, Opfersinns etc. in Verbindung stand. Nach persönlicher Identität wurde nicht gefragt. Vorrangig war die Einordnungs-Bereitschaft.

„Für die Menschen bestellt“ hieß der Wahlspruch des Erzbischofs, der mich zwei Jahre später zum Priester weihte. War eine abgehobene Kleidung diesem Motto dienlich?

Ich dachte an die „clericetti“ aus Ministranten-Tagen. „Darf ich noch Du zu dir sagen, oder bist du schon Pastor?“ So fragte meine Mutter, als ich mich in der neuen Montur vorstellte. Ihre Begabung, sich indirekt kritisch zu äußern, war mir vertraut.

Andererseits schließe ich nicht aus, dass die klerikale Kleidung den Eindruck verstärkte, dem angestrebten Ziel näher gerückt zu sein, und dass sie so zum positiven Verstärker wurde.

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