Fürsorgepflicht

pendeluhr

Meine Bitte um Dispens hatte noch eine andere Konsequenz zur Folge. Gekündigt wurde vom Erzbistum meine Dienst-Wohnung, die mir bisher bereitgestellt worden war. Man legte mir nahe, mich um einen Wohnsitz außerhalb der bisherigen Gemeinde zu bemühen, stellte mir aber einen Zuschuss zu den Umzugskosten zur Verfügung..

„Sacerdos matrimonio iunctus abesse debet a locis in quibus notus est eius status sacerdotalis“: Ein verheirateter Priester soll sich von Orten fernhalten, an denen er als Priester bekannt ist, schreibt die römische Kongregation „Pro Doctrina Fidei“ vor.

Ich akzeptierte die Forderung, da ich nicht mit meiner künftigen Frau Arm in Arm durch jene Gemeinde schlendern wollte, in denen ich am Altar gestanden hatte. Kompromissbereitschaft war keine Charakter-Schwäche. Es war nicht angemessen, mich auf das Grundrecht der Bewegungsfreiheit zu berufen. Ein Neubeginn ließ sich leichter bewerkstelligen in räumlicher Distanz zu vorherigen Gegebenheiten. Ich war nicht des Feldes verwiesen oder zum Auswandern aufgefordert worden.

Vor allem schulische Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen hatten mich bewogen, ein Pädagogik-Studium aufzunehmen und für dieses Fach eine Unterrichtsqualifikation zu erwerben. Ich wollte mein Gesichtsfeld erweitern und mehr wissen über Prozesse, in die Jugendliche eingebunden sind. Vorlesungen und Seminare über Erziehung und Gesellschaft, über Autorität und Emanzipation führten mich in neue Zusammenhänge ein. „Abweichendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen“. „Die Protestbewegung der Jugend“ – diese Themenbereiche motivierten mich näher hinzuhören, wenn es um die heranwachsende Generation ging.

Die Schule steckte durch den Entzuges der kirchlichen Unterrichtserlaubnis im Dilemma. Die „pädagogische Maßnahme“ der Erzbischöflichen Schulabteilung halbierte die Anzahl der von mir zu erteilenden Unterrichtsstunden.

Der Regierungspräsident fand eine überraschende Lösung. Er sei in Sorge um mich, ließ er mich und die Schulleitung wissen. Er könne nachempfinden, wie man sich in einer Situation wie der meinen fühle. „Bis auf Weiteres“ ließ er meine schulische Tätigkeit ruhen. „Meine Fürsorgepflicht“ – so  begründete er die von ihm getroffene Entscheidung.

Das Pendel meiner Uhr wusste nicht, ob es anhalten oder weiter schlagen sollte. Die kirchlichen Glaubenswächter mussten klären, ob und wie lange sie am Entzug der Missio festzuhalten gedachten. Die Maßnahme der staatlichen Behörde zwang sie, eher aktiv zu werden, als sie das möglicherweise geplant hatten.

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