Sippentreffen

Der Mönchengladbacher Autor, Peter Josef Dickers; Foto: Günter Pfützenreuter

„Muss ich dabei sein?“ überlegte ich, als ich die Einladung zum Sippentreffen erhielt. Die Mehrzahl der eventuellen Teilnehmer hatte ich seit Jahren nicht gesehen oder kannte sie nicht einmal.

Schließlich entschied ich mich teilzunehmen, auch aus Neugier,  wer  alles anwesend sein würde, und hielt eine kleine Ansprache:

Ich bedanke mich für die Einladung, liebe Sippen-Mitglieder, und bin überrascht, wer alles zu uns  gehört oder es zumindest behauptet. Einige leiten ihre Zugehörigkeit vielleicht in direkter Linie von Adam und Eva ab. Kein Wunder also, dass ein Treffen zu diesem Anlass schnell zur Großveranstaltung ausartet. Nicht allen gefällt das möglicherweise. Sie erzählen dann die Geschichte von der Arche Noah und dem alten Herrn, der seine Verwandtschaft vor der Sintflut retten wollte. Das Boot sei so überfüllt gewesen, dass diejenigen, die an Bord waren, gesagt haben sollen: „Schade, dass einige das Boot nicht verpasst haben.“

Von Sippen-Treffs hatte ich nicht immer eine gute Meinung, weil ich nicht gern Leuten begegne, welche die gleichen Fehler machen wie ich. Sippe und Verwandtschaft, hat jemand gesagt, seien etwas Ähnliches wie Naturkatastrophen: Man sei gegen sie machtlos. Ich sehe jedoch ein, dass ein Treffen wie das heutige seine guten Seiten hat. Von einigen, die ich hier antreffe, wusste ich nicht einmal, dass ich mit ihnen verwandt bin.

Ich begrüße euch mit einem bekannten Zitat von Wilhelm Busch. „Wer in Dorfe oder Stadt einen Onkel wohnen hat, der sei höflich und bescheiden, denn das mag der Onkel leiden.“ Euer Onkel, Vetter. Schwager oder was ich sonst für euch sein mag, bedankt sich, dass er hier sein darf.

„Kerl, Kerl“, sagte mein Schwiegervater, als er mich vor Jahren zum ersten Mal in Augenschein nahm. Er überfiel mich sofort mit seinen Fragen. „Wu häts du?. Säg mi äs dinen Namen. Wao küms du dän hiär? Wat büs du för Enen?“ Verstanden habe ich nichts. Dass sich Mitglieder unserer Sippe einer so unverständlichen Sprache bedienten, verstand ich nicht. Ich nahm an, dass ich ihm mitteilen sollte, ob ich mit vollen Taschen gekommen sei, als ich um die Hand seiner Tochter anhielt. Andererseits konnte ich seine indirekte Erwartung nachvollziehen. Jemand, der etwas Gutes mitbringt, ist auch mir lieber als eine Tante, die nur Klavier spielt.

Vater lernte ich nach und nach schätzen. Ich bewunderte seine Fähigkeit und Bereitschaft, auf andere zuzugehen und sie an sich heranzulassen. Wenn er von einem Besuch in der Stadt zurückkam, erzählte er, wen er alles getroffen und begrüßt hatte, egal, ob er jemanden kannte oder nicht. Er hatte eine einfache Erklärung dafür: „Die kennt mi all.“

Ich weiß nicht, ob eine andere seiner Charaktereigenschaften auch typisch ist für unsere Sippe: Das Mitspracherecht in Familienangelegenheiten durfte nicht so weit gehen, dass darüber abgestimmt wurde, wer der Chef war. Mutter spürte vermutlich leichtes Sodbrennen. In ihrer Weisheit begnügte sie sich jedoch mit der Bemerkung: „Ihr kennt das ja. Der meint das nicht so.“

Meine Wertschätzung für die Sippen-Angehörigen wurde auf die Probe gestellt, als ich  gefragt wurde: „Warüm kuёmt de Rienlänner nich in Hiёmel?“ Diese Frage, warum Rheinländer angeblich nicht in den Himmel kommen, hielt ich für überflüssig. Ich habe sie  nicht beantwortet und inzwischen großmütig verziehen.

Ich darf jedoch feststellen: Mit meiner Sippe habe ich Glück gehabt. Es wird erzählt, Beziehungen zu Verwandten gelängen am besten, wenn diese weit weg wohnen.  Jemand, der es nicht besonders gut mit mir meint, fügte noch hinzu, seit es Flugzeuge gebe, seien leider auch entfernte Verwandte nahe Verwandte.

In unserer Sippe gibt es dieses Problem nicht. Im Gegenteil. „Durch Abstandsmangel wird bedingt, dass mancher Funke überspringt.“ Dieser Spruch wird in unserer Sippe beherzigt. Vielleicht muss ich einschränkend ergänzen: Verwandtschaftliche Beziehungen sind in Ordnung, wenn man einem Sippen-Mitglied unbesorgt den Papagei anvertrauen kann.

Wir feiern ein Familien- und Sippentreffen. Beim gemeinsamen Feiern belassen wir es nicht. Wir essen auch zusammen. Denn essen hält Leib und Seele, Familie und Sippschaft zusammen.

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1 Kommentar zu "Sippentreffen"

  1. Joachim Müller | 16. Mai 2018 um 10:31 |

    Sippen- oder Verwandtschaftstreffen scheinen im Süden Deutschlands einfach dazu zu gehören. Nach meiner Eheschließung wurde ich als „Neig´schmekter“ im Familienkreis meiner Frau zur Besichtigung vorgestellt. Die Situation war wie vom Autor angedeutet: Meine Frau kannte höchstens 15 der etwa 60 teilnehmenden Personen, Schwiegermutter einige mehr. Zu meiner Erleichterung haben wir uns weiteren Sippentreffen verweigert.
    Wir sind ganz zufrieden mit uns selbst und sagen: Sippe schadt jo nich, obers wat schall dat?

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