Reise nordwärts. Bei den Eisbären

Wir sind in Longyearbyen. Kleine Bergbaustadt auf Spitzbergen. So weit im Norden war ich bisher nicht. Neunhundert Kilometer nördlich des norwegischen Festlands liegt die Inselgruppe, 1300 Kilometer vom Nordpol entfernt.

Die Namen großer Polarforscher bringen sich in Erinnerung: Roald Amundsen, Robert Falcon, Fridtjof Nansen, Knud Rasmussen. Ich behaupte nicht, mich auf deren Spuren zu befinden. Dennoch ist es nicht selbstverständlich für mich, eine Gegend aufsuchen zu können, wo Männer und Frauen aus ihrer Liebe zur Natur und ihrem Entdeckerdrang Expeditionen ins ewige Eis unternommen, dort forschten und einige im Eis verschollen sind. Meine Mutter hat das Dorf, in dem wir gewohnt haben, selten verlassen. Was würde sie sagen, wenn sie erleben könnte, wo ich mich gelegentlich herumtreibe?

Spitzbergen, norwegisch „Svalbard“: Fels-Massive und gefrorene Tundra, Gletscher und mit Eis bedeckte Fjorde. Eisige Schönheit. Für die Polarnächte zwischen November und Februar ist es jetzt im Juli noch zu früh. In der Zeit der Polarnächte bleibt es in Longyearbyen monatelang dunkel. Auch von denen, die hier wohnen, halten das nicht alle aus. Sie ziehen wieder fort. Die meisten Einwohner sind nur kurzfristig hier, um zu arbeiten. Auch wir bleiben nicht, nicht nur wegen der Jahresdurchschnittstemperatur von minus viereinhalb Grad. Jetzt ist Mitternachtssonne-Zeit. Vierundzwanzig Stunden, rund um die Uhr. Die Nacht ist nicht zum Schlafen da, stelle ich fest. Zumindest fällt mir das Einschlafen schwer.

Das Svalbard-Museum in Longyearbyen vermittelt Einblicke in Vergangenheit und Geschichte des Spitzbergen-Archipels. Uns wird vermittelt, unter welchen Umständen und Bedingungen Menschen hier lebten, immer noch leben und aktiv sind. Und es macht uns bekannt mit dem „König der Arktis“, dem Eisbär, einem ausgestopften Exemplar allerdings. Spitzbergen Besucher träumen angeblich davon, einen lebenden Eisbär zu Gesicht zu bekommen.

Doch Eisbären sind Raubtiere. Es die größte Bären-Art; zwischen dreihundert und siebenhundert Kilogramm Gewicht bringen sie auf die Waage. Mit ihren breiten Pfoten überqueren sie unbeschadet Felskanten, Schnee und brüchiges Eis. Eisbären-Warnschilder, die eifrig fotografiert werden, sind kein Touristen-Gag oder einer analogen Kategorie „Achtung Krötenwanderung“ entnommen. Auf Spitzbergen besteht außerhalb von Ortschaften ein ernstzunehmendes Risiko, auf Eisbären zu treffen. Man darf sich dort nicht ohne Gewehr oder bewaffneten Führer aufhalten. Ich habe es nicht getestet. Kinderspielplätze werden jedenfalls hoch eingezäunt.

Statt eines Gewehrs habe ich in der Regel mein Portemonnaie dabei, wenn ich unterwegs bin.

Wenn ich wieder zu Hause bin, ist der Besuch in einem Zoo fällig. Der Tiergarten in meiner Stadt hat leider keinen Platz für Eisbären. Im Zirkus ist künftig nur eine Begegnung mit ausgestopften Tieren erlaubt, wie im Museum. Deutschland ist dennoch führende Eisbären-Nation in Europa. Mehr als einhundert lebendige Eisbären finden in unseren Zoos Rückzugsorte und fühlen sich dem Vernehmen nach wohl. Ohne bewaffnet zu sein, kann ich sie da in Ruhe beobachten.

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