Kann denn Plastik Sünde sein?

Danke, liebe Post. Da Freitag ist, hast du mich wieder, wenn auch unaufgefordert, mit eingeschweißten Einkauf-Angeboten bedacht. „Gratiswoche“, „60 Prozent gespart“. Mit „Einkauf Aktuell“ verstehst du dich offenbar so gut, dass du zwanzig Millionen deutsche Haushalte pünktlich damit beglückst.

Ich sage dir nicht, wie ich mit dem Plastik-Glücks-Paket verfahre. Ich gebe allerdings zu, dass ich es noch nie geöffnet, nie etwas gelesen und es zuweilen dem nächstgelegenen  postalischen Briefkasten anvertraut habe. Ohne Briefmarke und Zustell-Adresse allerdings. Letztere kenne ich leider nicht. Meine Adresse ist dir, liebe Post, auch nicht bekannt. Daher erhält mein Nachbar das gleiche Glücks-Angebot wie ich. Was er damit macht, sage ich dir auch nicht.

„Die Deutsche Post müllt Briefkästen mit Plastik voll“, beschweren sich undankbare Empfänger der Plastik-Lieferung. „Die Deutsche Post ignoriert 50.000 Widersprüche“ behauptet jemand, der anscheinend widersprochen hat und „dem Werbeterror ein Ende machen“ will. Wer nicht „nein“ sage, werde beliefert, antwortest du, liebe Post. Wem soll ich „nein“ sagen, wenn ich deine Gratis-Aktion in meinem Briefkasten vorfinde? Die für uns zuständigen Zustell-Boten bzw. Botinnen wären dankbar, wenn sie freitags nicht mehre Zentner Briefkasten-Müll durch unsere Stadt transportieren müssten. Können sie „nein“ sagen?

Du wirst verstehen, liebe Post: Es wäre lästig, zwanzig Millionen eingeschweißte Plastik-Geschenke handverlesen in zwanzig Millionen postalischen Boxen zu entsorgen. Ich schaffe das mit meinem Geschenk auch nicht immer. Wo es dann bleibt – ich sagte schon, dass ich es  nicht sage.

Vermutlich weißt du nicht, liebe Post, dass die zum UNESCO-Welterbe zählende Pazifikinsel „Henderson Island“ im Plastikmüll zu versinken droht. In welchem Maß trägt meine dir wieder überlassene Plastik-Gabe dazu bei? Ich muss das wahrscheinlich nicht wissen, da du es anscheinend auch nicht weißt.

Vielleicht missverstehen wir auch alles. Kann Plastik wirklich Sünde sein? Du, liebe Post, sagst nicht laut, was du uns vielleicht sagen willst:

–   Die Plastik-Kunstoffe an unseren Elektrogeräten – Fernseher, PCs, Smartphone usw. – sind kein Problem. Jedenfalls nicht so ein großes Problem wie die Plastik-Strohhalme, welche die Meere füllen.

 –  Die viele Kilometer breiten Plastik-Folien, die im Frühjahr auf den Äckern eine möglichst frühe Spargel-Ernte ermöglichen sollen, sind ebenfalls unproblematisch.

–   Ein Fünftel unserer Autos besteht aus Kunststoff. Aus Polyurethan-Schaum wird vom Armaturenbrett bis zum Karosserieteil alles Mögliche angefertigt. Wenn einmal E-Autos die Straßen beherrschen, dürfen Kunststoffhersteller auf noch bessere Absatzchancen hoffen. Das Gewicht eines Autos muss ja gesenkt werden, um Spritverbrauch und CO2-Ausstoß zu verringern. Wie macht man das? Mit Plastik. Kann Plastik wirklich Sünde sein?

Liebe Post. Nächste Woche ist wieder ein Freitag. Kann ich davon ausgehen, dass du mich unaufgefordert versorgen wirst? Ich sage dir immer noch nicht, was ich mit deiner gut verschweißten Gabe machen werde.

0 - 0

Danke für Ihre Abstimmung!

Sorry, Sie haben schon abgestimmt!

3 Kommentare zu "Kann denn Plastik Sünde sein?"

  1. Sven Bouten | 3. August 2019 um 19:38 |

    Ungläubig schaue ich immer drein, wenn ich im Supermarkt den Blick über die Kühlung schweifen lasse. Wie könnten all die Waren, die ich da in Plastik gehüllt sehe, ohne dieses Material angeboten werden. Es gibt doch nichts, was es ohne Plastik gibt. Wie sich das zurückdrehen oder ersetzen läßt, kann ich mir in keinster Weise vorstellen.

  2. Peter Josef Dickers | 3. August 2019 um 16:47 |

    „Dreimol schlecht g’easse isch au g’fastet.“ Der Spruch aus dem Allgäu stammt wahrscheinlich von einem Vergeblichkeitsartisten. Fasten, auch Plastik-Fasten, ist ein Versuch wert, Frau Sobek. Man muss ja nicht gleich zum Alles-Verzichtler werden.

  3. Margit Sobek | 3. August 2019 um 11:43 |

    Nachdem ich gestern Abend den Artikel von Peter Josef Dickers gelesen hatte, stand ich in unserem Badezimmer und schaute mich ungläubig um: Plastiktuben, -Dosen. -Flaschen ringsum! Angefangen von der simplen Zahnbürste über Zahncreme, Mundwasser, Duschgel, Haarshampoo, Körperlotion, Handcreme, Gesichtscreme, Fußpflegebalsam, Sonnencreme, Lippenbalsam, Wattestäbchen und, und, und
    Das Thema ließ mich in der Nacht nicht los.
    Heute Morgen erfuhr ich durch meine Recherche im Internet zum Thema Plastik von der Aktion „Plastikfasten“ in der österlichen Fastenzeit.
    Ob das wohl auch im August möglich ist?
    Und wenn ja, wird es mir gelingen?
    Ein Versuch ist es allemal wert.
    Und – Mitmachen ist erlaubt!

Kommentare sind deaktiviert.