Das Leben ist schön, sagte Schwiegermutter

Der italienische Film „Das Leben ist schön“ hat mich fasziniert.
Der jüdische Buchhändler Guido lebt glücklich mit seiner Frau Dora und Sohn Giosuè in der Toskana.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs werden sie ins KZ deportiert.

Der Vater versucht, vor seinem Sohn die Grausamkeit des Krieges zu verbergen. Das Leben ist schön, selbst Gaskammern können das nicht ignorieren. „La vita è bella“.
Einige sagen: Realitätsfremd. Andere: Glückwunsch zu dieser Lebenseinstellung. Wer trotz der Abgründe in seinem Leben, trotz vieler Unzulänglichkeiten um sich herum Licht sieht, kann dem Leben Positives abgewinnen, das es immer noch gibt.

Meine Schwiegermutter schaffte das in besonderer Weise. Als sie fünfundneunzig Jahre alt wurde und längst im Rollstuhl saß, lud sie alle zu ihrem Geburtstag ein, die zum großen Familien-Clan gehörten, einschließlich der Enkel und Urenkel. Unmöglich, was sie sich zumutete. Niemand hatte ihre Einladung ausgeschlagen. Jeder fühlte sich angenommen. Jeder akzeptierte sie. Alle liebten Oma.

Mein Leben war schön, sagte sie jedem, dessen Hände sie in die ihre nahm. Wie schön ihr Leben wirklich war, lässt sich nur ahnen. Zehn Geschwister hatte sie. Ihre Eltern besaßen eine kleine Ziegelei und betrieben zusätzlich eine bescheidene Dorfkneipe. Weil die Ehe ihrer Patentante kinderlos blieb, wurde sie von ihrer Tante adoptiert. Sie sollte Hoferbin werden. Unglaublich, werden wir sagen. Durfte man ein Kind der Familientradition opfern und gewachsene Bindungen ignorieren?

Mein Leben war schön, sagte Schwiegermutter. Sie nahm es an und machte etwas daraus. Neun Kindern schenkte sie das Leben. Kurz vor einer Niederkunft legte sie für ein paar Tage die Heugabel aus der Hand. Mutterschutz auf dem Bauernhof. Sie erlebte die Hungersnot im Ersten Weltkrieg. Sie protestierte nicht gegen ihr Leben. Sie protestierte nicht gegen das Kinderkriegen.

Wir sind wahrscheinlich fassungslos und fragen, warum sie sich das alles gefallen ließ und sich nicht gewehrt hat. Mein Leben war schön, würde sie sagen.
Das Leben ist schön. Hoffnung und Zuversicht, dass sich das Leben lohnt, dürfen nicht sterben. Aber man muss das Leben zunächst zulassen. Dann kann es trotz mancher Dunkelheit schön werden – nicht immer, aber an vielen Tagen. Meine Schwiegermutter hat mir gezeigt, dass es möglich ist.

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2 Kommentare zu "Das Leben ist schön, sagte Schwiegermutter"

  1. Peter Josef Dickers | 22. November 2015 um 21:58 |

    Zu C. Wintzen: Sie möchten wissen, wer ich bin und wie ich bin. Meine Geschichten sind natürlich Ich-Geschichten. Dennoch beschreiben sie nur Momente meines bisherigen Lebens, erinnerungswürdige Momente. Ich bin zufrieden mit diesem Leben und habe noch Pläne.

  2. Manche Geschichten von Herrn Dickers sind nicht „schön“ zu lesen, aber doch des Lesens wert. Läßt sich doch immer ein Quentchen Fazit für das eigene Leben gewinnen. So war die Schwiegermutter, um die es heute geht, sicher eine Lebenskünstlerin. Wie wohltuend wäre es für jeden von uns, wenn er in der Lage wäre, in allen Unbilden des Lebens auch die guten Punkte zu entdecken. Was mir besonders auffällt und gefällt, daß der Autor über die schlimmsten Zeiten seines Lebens, ohne Blick zurück im Zorn schreiben kann. Vielleicht ist auch er ein Lebenskünstler. Danke jedenfalls an „mg-heute“ für die Veröffentlichungen.

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