Exklusiv

Das Trinkgeld werde exklusiv unter dem Personal aufgeteilt, versicherte die Besatzung des Schiffes. Sie nahm mir eine Verantwortung ab. Ich musste weder ein Orakel befragen noch selbst entscheiden, wem ich in besonderer Weise an Bord zu Dank verpflichtet war. Geben macht glücklich. Das Trinkgeld ging exklusiv ans Personal. Ich war erleichtert.

Die große Schautafel zeigte an, wer exklusiv dazugehörte. Der Kapitän. Er erwartete eine Zuwendung. Ebenso der First Officer und der Exekutiv Chief. Desgleichen der Hotelmanager, der Restaurant-Manager, der Programm-Manager. Nicht zu vergessen der Programm-Direktor. Der Mikrokosmos auf dem Schiff war größer, als ich gedacht hatte. Alle sollten exklusiv bedacht werden. Den Grund nannte die Anordnung nicht. Besondere Zuwendungen wurden erwartet, mussten nicht begründet werden.

Die Schautafel war nicht groß genug, um alle exklusiv Berechtigte aufführen zu können. Die Küchen-Angestellten wurden nicht erwähnt. Der freundliche Alleskönner, der auf dem Sonnendeck wegräumte, was Sonnenanbeter liegen und stehen gelassen hatten, auch nicht. Wer meine schmutzigen Hemden gewaschen hatte – auch darüber schwieg sich die Schautafel aus. Die Serviererin im Restaurant, die mir eine Tasse Kaffee brachte, ehe ich sie bestellt hatte, gehörte für mich dazu. Aber auch ihr Name war nicht vermerkt. Vielleicht deswegen nicht, weil ich sie selbst schon etliche Male bedacht hatte.

Was war mit dem Unbekannten, der mitten in der Nacht die aktuellen Tagesnotizen unter meiner Kabinentür hindurch schob? Auch er musste exklusiv zum Personal gehören. Dem Kapitän würde es eine Ehre sein, mit ihm das Trinkgeld zu teilen. Oder gab es eine Trinkgeld-Hierarchie? Exklusive Trinkgeld-Verteilung zunächst an den Kapitän, dann an den First Officer, den Exekutiv Chief, den Hotelmanager. Wenn der Trinkgeld-Topf leer war, würde dann ein Trinkgeld-Darlehn aufgenommen? Oder mussten andere exklusiv Berechtigte auf die nächste Reise warten?

Wofür konnte ich dem Kapitän danken? Dass er mich an Bord gelassen hatte? Dass er mir zehn Tage lang vom Schiff aus die Aussicht auf die vorbeiziehende Flusslandschaft gewährt hatte? Er hatte mich zum Kapitäns-Dinner eingeladen. Seine Uniform glänzte in den schönsten Farben, als er sich zusammen mit anderen exklusiv Berechtigten vorstellte. Dann entschwand er mit dem Exklusiv-Tross. Dass er mich eingeladen hatte, bedeutete nicht, dass er mit mir speiste. Wie konnte ich ihm das vergelten?

Der Hotelmanager machte es mir leicht. Jeden Wunsch las er mir von den Augen ab. Darauf eingehen konnte er nicht. Die Hotel-Schiff-Ordnung hatte exklusiv verfügt, welche Wünsche in Erfüllung gehen konnten und welche nicht. Welches Trinkgeld stand ihm zu, damit bei der nächsten Reise auch meine Wünsche Berücksichtigung fanden? Ein Trinkgeld würde ihn anspornen, mich besonders zuvorkommend zu behandeln. Aber würde ich ihn bei der nächsten Reise wieder antreffen? Wenn nicht, dann konnte er sich nicht revanchieren. Warum sollte ich ihm jetzt eine hochherzige Spende zuteil werden lassen, wenn er keine Gelegenheit hatte, mir dankbar zu sein?

Dem Restaurant-Manager, dem Programm-Manager, dem Programm-Direktor war ich exklusiv zu Dank verpflichtet. Das war der Anweisung zu entnehmen. Ich wusste nicht, warum, aber ich war ihnen verpflichtet. Mir waren sie nicht verpflichtet, obwohl sie dankbar sein sollten, dass ich mich für ihr Schiff entschieden hatte. Die Serviererin bei Tisch wusste, was sie an mir hatte. Sie brachte mir Kaffee, ehe ich ihn bestellt hatte. Sie habe ich exklusiv bedacht. Ebenso die Alleskönner, die Unbekannten und diejenigen, die täglich mein Bett zurechtgemacht hatten. Exklusiv ihnen habe ich Trinkgeld gegeben. Ausschließlich ihnen. Die Manager werden es verstehen oder auch nicht.

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