Himmlisches Jerusalem

In der niedrigen, gedrungenen Krypta ist es jämmerlich kalt – jedenfalls empfinde ich es so, weil ich mich draußen an 35 Grad Südtiroler Sommerhitze gewöhnt habe. Der romanische Fresken-Zyklus aus der Zeit der Klostergründung der Abtei Marienberg in Burgeis im 12. Jahrhundert ist ein Kunstwerk von europäischem Rang. Eindrucksvolle Fresken, die das „Himmlische Jerusalem“ zum Thema haben, schmücken die Apsiden.

Hier unten sangen Mönche biblische Psalmen „im Angesicht Gottes und seiner Engel“, die in den Fresken Gestalt annehmen. Nach ihrem Gesang gingen die Mönche wieder an die Arbeit „oben“. Gebet und Meditation hier unten als Kraftsammlung für das Leben in der Welt „oben“. Begreifen wir das noch? Vielleicht auch damals nicht alle.

Ein großer Teil der Krypta wurde später zugeschüttet. Es entstand eine Gruft für verstorbene Äbte, für die Särge der Patres und Brüder. Viele Fresken verschwanden dahinter. Inzwischen hat man sie wieder frei gelegt. Sie erstrahlen wie einst in ihrem Glanz und erzählen vom himmlischen Jerusalem. Hören die Besucher ihnen zu? Vernehmen sie die überirdischen Gesänge und Klänge?

Unsere Welt orientiert sich an anderen Klängen – Klänge, die ständig variieren. Menschen damals, die ein Ohr hatten für das Himmlische Jerusalem, begnügten sich mit einem einfachen, fest gefügten Weltbild. Sie wussten, woran sie waren. Sie vertrauten Bildern, in denen sie Hoffnung und Trost suchten. Unser Weltbild verläuft oft in Schlangenlinien. Viele selbst produzierte Bilder von unserer Welt oder einem Jenseits haben die Tröstungskraft von Gummibärchen.

Vielleicht täten wir gut daran, von Zeit zu Zeit den Klängen zu lauschen, von denen die Fresken erzählen. Wer Ohren hat zu hören, der hört.

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