Melchior nennen sie mich

Der Mönchengladbacher Autor, Peter Josef Dickers; Foto: Günter Pfützenreuter

Woher ich komme, fragen sie. Ob ich Sterndeuter oder König bin. Warum ich mich auf den Weg machte. Welche Geschenke ich mitgebracht habe. Wie lange ich bleiben will. Mein Kamel, das mich her brachte, wartet vor der Hütte und möchte die Heimreise antreten. Aber ich will noch bleiben. Ich darf mich nicht davon machen. Je länger ich hier bin, desto mehr spüre ich, dass mich etwas hier hält.

Melchior nennen sie mich. Ich fühlte mich wohl daheim, und ich war zufrieden. Eine große Familie sind wir, ehrbare Leute. Meine Mutter konnte es nicht verstehen, als ich ihr sagte, ich müsse aufbrechen. „Wo willst du hin?“ Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. „Bist du nicht mehr zufrieden mit unserem Leben? Hier hast du festen Boden unter den Füßen. Was willst du in der Fremde?“ Ihre Augen verrieten Enttäuschung. Bleibe im Land und nähre dich redlich, stand in ihnen geschrieben.

Dem wollte ich nicht widersprechen. Unser Leben verlief in geordneten Bahnen. Unsere Welt war überschaubar. Warum sollte ich sie verlassen? Dennoch konnte ich mir mein Leben anders und woanders vorstellen. Wer sich nicht ändert, hat nicht gelebt – ein weiser Mensch hat das gesagt und hinzugefügt, das Leben bestehe aus Abschied und Aufbruch. „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“, warnten mich meine Brüder. „Gott wird bei mir sein“, entgegnete ich; „neue Erfahrungen will ich machen und sehen, wie ich damit fertig werde.“ Kein Weg war mir zu weit dazu.

Meiner Mutter sagte ich nichts davon. Ich liebe sie, und ich wollte sie nicht verletzen. Aber ich musste sie los lassen. Auch sie will, dass sich einiges in meinem Leben ändert. Aber gleichzeitig soll möglichst viel so bleiben, wie es ist. „Warte auf bessere Zeiten“, schlug mein Vater vor. „Bist dahin kannst du noch träumen und Pläne schmieden.“ „Vater“, entgegnete ich, „besser als bisher muss es nicht werden. Jetzt ist es an der Zeit, mich auf den Weg zu machen. Wenn ich nur Pläne schmiede und träume, dann verschlafe ich sie. Wer heute etwas vorhat, soll nicht bis morgen warten, wird gesagt.“ „Dann wage dein Leben“, forderte er mich auf. „Mach dich auf den Weg.“ Er sagte es und segnete mich.

Unterwegs traf ich Gefährten. Ich blieb nicht allein. Man muss aufbrechen, um zu erfahren, wer mit einem geht. Auch dass hat ein weiser Mensch gesagt. Ich hatte keine Wegweiser, aber ich fand Freunde. Zu dritt machten wir uns auf den Weg. Ich wusste jedoch, dass ich etwas von mir selbst fordern musste, ehe ich mich auf meine Freunde verlassen durfte. Dass wir unterwegs waren zu einem Kind und dass dieses Kind unser Leben verändern würde, merkten wir erst, als wir am Ziel waren.

„Wo ist deine Krone“, fragen mich jene, die mich einen König nennen. Meine Krone sind die Menschen, die mir begegnet sind und mir Mut gemacht haben. Meine Krone gehört dem Kind, das mein Leben verändert hat. Meinem Vater, meiner Mutter gebührt eine Krone. Ohne sie hätte ich nicht aufbrechen können. Ohne sie wäre ich nicht hier.

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