Udo ist tot

„Bitte eine Mail senden an ‚udoisttot‘ oder auf Udos Handy melden.“ Die Anzeige in der Zeitung überrascht mich. Warum soll ich mich bei Udo melden? Ich kenne ihn nicht. Außerdem ist er tot. Will er Kontakte pflegen mit Lebenden im Diesseits? Soll er überirdische Ratschläge aus dem Jenseits übermitteln? Wahrscheinlich nur ein Marketing-Trick.

Beim Übergang vom Leben zum Tod scheint es Probleme gegeben zu haben. Ob er nicht gewusst hat, wohin es geht? Ruth scheint es gewusst zu haben. Albert beschreibt es. „Deine unendliche Reise tratest Du um 4.20 Uhr an. Unsere Gedanken begleiten Dich auf dem Weg zur ewigen Sonne.“ Ob Ruth weiß, wie weit das ist? Hat sie bedacht, was sie sich mit ihrer unendlichen Reise antut – ohne sicheren Kurs, ohne Parkplatz, auf dem die arme Seele verschnaufen kann? Heinrich Heine hoffte, dass seine letzte Ruhestätte nicht ganz so weit entfernt lag – unter Palmen im Süden, unter Linden am Rhein.

Eine Reise scheint man in jedem Fall anzutreten, wenn man sich von seinen Lieben für immer verabschiedet hat. Maria schwimmt jetzt im Baltischen Meer, denn ihr Mann hat seine „stolze Frau“ in der Ostsee beigesetzt. Hofft er, der armen Seele das Fegefeuer ersparen zu können?

Wer will, kann den Weg ins Jenseits in Turnschuhen antreten. Ein Bestattungshaus bietet sie an. Es hat sein Leistungsspektrum erweitert und bietet einen Sarg in Turnschuhform an. Innerhalb einer Woche lässt sich der Sonderwunsch realisieren. Die achttausend Euro sollten einem die letzte Reise wert sein, denn der Urlaub auf Bali im vergangenen Jahr kostete genau so viel.

Wo mag Udo stecken? Vielleicht weiß er es selbst nicht und will sich mit dem Handy orten lassen. Ob auch Karl Peter Schwierigkeiten mit der Reiseroute hat, geht aus der Anzeige nicht hervor. „Gott wollte es anders“, schreibt seine Elfi. „Mit ihm fährst du nun die himmlische Route 66“. Hoffentlich kann sich Karl Peter auf sein Navi verlassen. Da er alleine unterwegs ist, kann er niemanden fragen, wenn er sich verfahren hat.

In meinem Dorf musste sich während meiner Kindheit ein Verstorbener solche Sorgen nicht machen. Im Sarg wurde er von zu Hause abgeholt und auf einer Pferdekarre zum Friedhof transportiert. Verwandte und Nachbarn begleiteten ihn. Er konnte sicher sein, ans Ziel seines letzten Weges zu gelangen. Unendlich weit bis zur Sonne war der Weg auch nicht. Der Friedhof lag nicht weit von der Kirche entfernt, und die befand sich mitten im Dorf. Gottesacker nannte man ihn, Ort des Übergangs vom Diesseits ins Jenseits. Die letzte Reise trat jeder von zu Hause aus an. Man blieb auch irgendwie zu Hause; denn die Stelle, wo man begraben wurde, war nicht weit vom bisherigen Zuhause entfernt. Der Tote musste nicht mit dem Handy geortet werden, um zu wissen, wo er sich zur letzten Ruhe begeben hatte.

Auch in meinem Dorf hat sich einiges verändert. Aus dem Dorf wurde eine Stadt. Der Pferdekarren hat sich zuerst in eine schwarze Leichen-Limousine verwandelt, dann tauschte man sie gegen einen Allerwelts-Jeep aus. Den Passanten soll nicht zugemutet werden, schon am Fahrzeug erkennen zu können, dass ihnen eine Leiche begegnet. Bürger haben ein Recht auf verkehrsberuhigte, leichenfreie Zonen. Der Tod wird ausgebürgert, totgeschwiegen. „Einfacher Abtrag“, sagen die Bestatter. „La paloma“ singen sie am Grab. Man denkt ans Leben, nicht ans Sterben. Die Endlichkeit des Lebens muss nicht betont werden.

Hoffentlich machen sie Udo ausfindig. Ich wünsche ihm die letzte Ruhe. Irgendwann will jeder ans Ziel kommen.

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