Willkommenskultur bereichert uns alle

In der Berichterstattung hört oder liest man zumeist mit Distanz und politischer Correctness von „Personen“, „Flüchtlingen“, „Migranten“, „Zuwanderern“, „Bewohnern“…. Wer aber in der Flüchtlingshilfe mitarbeitet, gewinnt eine ganz andere Perspektive. Im direkten Kontakt wird es plötzlich handfest, und die Schicksale lassen niemanden unberührt.
Die Nachbarschaft in Mönchengladbach-Dohr hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen aus über 15 Ländern zu unterstützen und zu begleiten, die seit gut zwei Monaten bei ihnen leben.

Beim Treffen des Forums Flüchtlingshilfe Dohr tauschen sich die Helfer regelmäßig über ihre Arbeit aus. Da erzählt Familie K. aus der Nachbarschaft von der Begleitung einer syrischen Familie mit 5 Kindern: In der kurzen Zeit ist ein herzlicher und familiärer Kontakt zu den Eltern mit ihren 4 Söhnen und einer Tochter sowie dem Onkel entstanden. Zuerst galt es, die Familie zusammenzuführen, denn der Vater war in Lübeck gestrandet, während der Rest der Familie in MG untergekommen war. Diese humanitäre Selbstverständlichkeit ist im bestehenden System von Zuweisungen und Quoten ein mühsames Unterfangen gewesen, aber sie gelang! Nun geht es daran die Kinder in Schulen und KiTas unterzubringen. Familie K. ist optimistisch, dass sie das für die syrischen Freunde hinbekommt. Die syrische Familie möchte gern in eine eigene Wohnung ziehen – an sich ein nachvollziehbarer Wunsch. Doch Stefan K. sieht das mit gemischten Gefühlen, denn in Dohr gibt es keine passenden Leerstände. „Es ist klar, dass die Familie mehr Privatsphäre sucht. Jetzt war eine Wohnung in MG-Mitte im Gespräch, und ich frage mich, wie die dann dort zurechtkommen. Wir wohnen dann nicht mehr gleich nebenan und der Kontakt wird sich zwangsläufig etwas verlaufen. Der Vater mit seinen schweren Depressionen wird in solch einem Umfeld vor die Hunde gehen, die großen Jungs müssten jetzt nach grade mal einem Monat die Schule wechseln, die kleinen verlieren ihre Spielpartner.“
Eine andere Geschichte, die niemanden kalt lässt, ist die von dem jungen alleinstehenden Mann aus einem Land, das politisch als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft ist, das für ihn aber niemals sicher war. Schon in seiner Kindheit musste er in Heimen oder auf der Straße leben. Irgendwann machte sich der Halbwüchsige mit der Kraft der Verzweiflung und mit viel Überlebenswillen auf die Suche nach einer besseren Zukunft. Auf lebensgefährlichen Umwegen gelangte er nach Mönchengladbach. Dieser junge Mann ist ganz offensichtlich schwer traumatisiert. Er hat anfangs in einer Einrichtung für unbegleitete Jugendliche gelebt, ist aber jetzt zu alt dafür und aus diesem System herausgefallen. Er schottet sich stark ab und braucht dringend eine konstante Betreuung und psychologische Hilfe. Können wir diese zerstörte Seele auffangen? Ist es nicht ein Gebot der Menschlichkeit, genau das zu versuchen? Der Gedanke ist beängstigend, dass er stattdessen in sein sogenanntes „sicheres Heimat-land“ zurückgeschickt werden könnte.
Die Alte Schule in Mönchengladbach-Dohr beherbergt als Flüchtlingswohnheim etwa 60 Menschen – überwiegend Männer und einige Familien. In der Turnhalle nebenan als Durchgangseinrichtung sind im Schnitt 30 Personen untergebracht, die dort zumeist nur wenige Tage bleiben, bevor sie in die Wohnheime in der Stadt verteilt werden.
Die Nachbarn aus Dohr gehen immer wieder in die Einrichtung und auf die Bewohner zu. Inzwischen erkennt man einander auch auf der Straße oder dem Schulhof und wechselt einen Gruß. Zum Plau-dern fehlt es häufig noch an Sprachvermögen, doch mit Händen und Füßen lässt sich einiges klären. Viele der Flüchtlinge sind sehr zurückhaltend und wirken auf ihre deutschen Nachbarn verstört oder traumatisiert. Die unterschiedlichen Angebote zur Integration oder Freizeitgestaltung werden von
ihnen zum Teil nur zögerlich angenommen. Sie scheinen so gefangen in ihren Sorgen und ihrer Frust-ration, dass sie sich auf nichts einlassen können.
Das Hilfsangebot für Formulare und Ämtergänge wird fast nur für die Wohnungssuche nachgefragt, man hat zuweilen den Eindruck, dass das Bedürfnis nach einer eigenen Wohnung alles andere über-lagert. Dies merkt auch die Gruppe Sprachkurse und Lernunterstützung – fast jeder fragt nach einer Wohnung. Doch die Sprachlerngruppe bietet ihren Unterricht unerschütterlich weiter an; und wenn nur einer kommt, hat der eben einen Glückstag und bekommt Einzelunterricht! „Wir wissen noch so wenig voneinander. Wir müssen Geduld haben und uns auch bewusst sein, dass wir nicht alle Prob-leme lösen können“, so ein ehrenamtlicher Sprachlehrer, de vor vielen Jahren selbst als Zuwanderer nach Deutschland kam.
Das Hausmeisterteam, das Mitte Dezember den Dienst antrat, wird von allen gelobt. „Unsere Haus-meister sind so nett und hilfsbereit, die unterstützen uns und jeden Bewohner ganz großartig!“ Es ist dem Forum ein Anliegen, dass dieses tolle Team der Alten Schule erhalten bleibt.
Nach nunmehr zwei Monaten werden natürlich auch einige Erwartungshaltungen korrigiert. Das gilt für die Helfer, die sich falsche Vorstellungen vom Bedarf gemacht haben, ebenso wie für die Flücht-linge, die zum Teil mit unzutreffenden Bildern im Kopf ankommen und lernen müssen, dass Deutsch-land doch anders ist, als sie es sich vorgestellt haben. Ein Knackpunkt ist in diesem Zusammenhang die Sprache. Wie soll man herausfinden, was jemand braucht, wenn man ihn nicht versteht? Wie soll man erkennen, was ein Angebot beinhaltet, wenn man es nicht versteht? Wie soll jemand die Werte und Normen einer Gesellschaft annehmen, wenn er sie nicht versteht? Wie zielführend ist es, immer einen Dolmetscher mitzubringen und auf diese Weise keinen Leidensdruck zum Sprachenlernen zu-zulassen? Wie soll jemand Deutsch lernen, der sich abschottet und in eine eigene Wohnung ziehen will? Ohne eine funktionierende Kommunikation finden kein soziales Miteinander und keine Integra-tion statt. Insofern ist die Forderung, sprachliche Grundkenntnisse von Anfang an zu fördern und als Kriterium für eine Bleibeperspektive auch einzufordern, nachvollziehbar.
Auch wenn teilweise Ernüchterung zu spüren ist, und ungeachtet der verschiedenen Schwierigkeiten, die derzeit zu meistern sind – das Forum Flüchtlingshilfe Dohr hält seine ganz besondere Willkom-menskultur in bewundernswerter Weise aufrecht. Man spürt in Dohr, dass dort Menschen zusam-menarbeiten, die sich seit vielen Jahren kennen und schätzen. Das ist der Vorteil des ehemaligen Dorfs: Die Dohrer wissen, wie wertvoll ihr Zusammenleben ist und sie können es nur lebendig erhal-ten, indem sie die Zuwanderer gemeinsam integrieren. „Viele von uns haben erst durch das Forum Flüchtlingshilfe realisiert, in was für einer großartigen Nachbarschaft wir leben, und ich glaube, dass die Freude, mit der wir uns hier zusammen einsetzen, die Flüchtlinge genauso wie uns selbst und unsere Gemeinschaft stärkt. Das nennt man wohl neudeutsch eine „win-win-Situation“.

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