Das Mädchen hatte gefragt, wo das Christkind wohnt. Irgendwo musste es zu Hause sein und sich ausruhen können, wenn es den ganzen Tag unterwegs gewesen war. „Im Himmel“, hatte die Tante geantwortet. „Wo ist der Himmel?“ wollte das Mädchen fragen. Aber die Tante hatte es eilig. Für eine Antwort fehlte die Zeit. Vielleicht wusste sie es auch nicht. „Es kann so weit nicht sein“, tröstete ich das Mädchen. „Wenn du willst, machen wir uns zusammen auf den Weg.“
Das hätte ich nicht sagen sollen; denn inzwischen waren wir schon lange unterwegs. Wo war der Himmel? Viele Menschen waren uns begegnet. „Wissen Sie, wo der Himmel ist? Das Christkind soll dort wohnen.“ Immer wieder hatte das Mädchen gefragt. Statt einer Antwort ein Achselzucken. Niemand schien es zu wissen. Vielleicht da oder dort oder da oben – die Leute zeigten in alle Himmelsrichtungen. Niemand konnte es genau sagen. Der Himmel war nicht in Sicht.
“Wo ist der Himmel?“ fragte das Mädchen den Mann, der Zuckerwatte verkaufte. „Bei mir nicht“, sagte er missmutig. Den ganzen Tag stand er schon auf dem Weihnachtsmarkt. Seine Hände waren kalt geworden, und das Mädchen merkte ihm an, wie unzufrieden er war. „Die Leute nerven mich“, murrte der Zuckerwattenverkäufer. Meine Zuckerwatte ist den einen zu süß, den anderen zu weich, wieder anderen zu klebrig. Mal sind die Portionen zu groß, mal sind sie zu klein. Ich werde nach Hause fahren, damit ich nichts mehr davon höre.“ „Bestellst du die Zuckerwatte beim Christkind?“ wollte das Mädchen wissen. „Es soll hier wohnen. Oder ist hier nicht der Himmel?“ „Der Himmel ist hier bestimmt nicht.“ Die Antwort des Zuckerwattenverkäufers klang nicht sehr freundlich. „Der Weihnachtsmarkt ist hier. Außerdem habe ich selbst die Zuckerwatte mit meiner Zuckerwattenmaschine hergestellt, nicht das Christkind. Schön weich ist meine Zuckerwatte, aus reinem Zucker.“
Das Mädchen war enttäuscht. Das Christkind wohnte nicht auf dem Weihnachtsmarkt. Die Zuckerwatte stammte nicht vom Christkind. Hier war nicht der Himmel. Der Mann hatte ihr zwar eine Portion Zuckerwatte geschenkt, aber glücklich war sie nicht. Außerdem musste sie dringend auf die Toilette. Die Dame an der Eingangstür zählte Geldstücke. „Hast du Geld dabei? Du kannst sonst hier nicht aufs Klo gehen.“ Die Frage nach dem Himmel und nach dem Christkind wagte das Mädchen nicht zu stellen. Außerdem roch es eigenartig. Der Himmel konnte hier nicht sein. Wahrscheinlich gab es ihn nicht und das Christkind auch nicht.
Fast wäre sie über den langen weißen Stab gestolpert. Ein blinder Mann tastete sich mit ihm über den Weg. „Können Sie mit dem Stab sehen?“ fragte das Mädchen. „Nein“, sagte der Blinde. „Aber der Stab macht mich sicher. Auf ihn kann ich mich verlassen, wenn ich unterwegs bin.“ „Weißt du, wo der Himmel ist?“ fragte sie ihn unvermittelt. Das Christkind soll dort wohnen. Oder weißt du das nicht, weil du nicht sehen kannst?“ „Das kann ich dir natürlich nicht genau sagen. Ich glaube aber, dass der Himmel da ist, wo ich mich sicher fühle, wenn mir niemand den Weg abschneidet und wenn ich an der roten Ampel sicher über die Straße komme. Dann fühle ich mich wie im Himmel.“
Das Mädchen war überrascht. So hatte sie sich den Himmel nicht vorgestellt. Oben über den Wolken hatte sie ihn vermutet. Jetzt aber konnte er auch woanders sein, sogar ganz in seiner Nähe. Wenn das Christkind im Himmel zu Hause war, dann wohnte es vielleicht gar nicht weit von hier.