Das Gastgeschenk

Der Mönchengladbacher Autor, Peter Josef Dickers; Foto: Günter Pfützenreuter

Ein Kamel sei ich, behaupten die Leute. Dabei heiße ich mit richtigem Namen Dromedar. Ich ärgere mich, wenn man mich mit meinen Verwandten, den Trampeltieren, verwechselt. Die haben zwei Höcker. Ich begnüge mich mit einem. Mein Herr hat nie einen zweiten Höcker vermisst, wenn ich mit ihm durch den Wüstensand galoppiere. Die schweren Lasten, die ich oft transportieren muss, verteilt mein Herr so gut auf meinem Rücken, dass sie nicht herunterfallen können.

Die Reise, die wir bald antreten wollen, kommt überraschend für uns. Es soll ein Ereignis geben, das nicht alle Tage vorkommt. Ein neuer König ist geboren worden. Mein Herr will ihm seine Ehrerbietung erweisen und ihm persönlich Glück und Segen wünschen. Allerdings weiß er nicht, wo genau er auf die Welt kam. Nichts davon steht in der Zeitung; auch in den Nachrichten wurde nichts mitgeteilt. Wir können niemanden anrufen, um uns zu erkundigen. Selbst im Internet ist nichts zu finden, was auf ein außergewöhnliches Geschehen hindeutet. Es scheint so, als soll die Nachricht geheim gehalten werden. Dennoch haben wir beschlossen, uns auf den Weg zu machen. Nähere Anweisungen erhalten wir noch. Das wurde uns zugesagt.

Mein Herr ist allerdings skeptisch, da er nicht weiß, wie lange wir unterwegs sein werden. Ich jedoch traue mir die Reise zu, selbst wenn sie lange dauern sollte. Ich komme, wenn es sein muss, mehrere Wochen ohne Wasser aus. Auch macht es mir nichts aus, harte oder dornige Pflanzen fressen zu müssen, um satt zu werden. Schnell und ausdauernd bin ich. Achtzig Kilometer schaffe ich am Tag – allerdings nur, wenn mein Herr nicht neben mir herlaufen muss, weil ich bis zum Höckerrand voll beladen bin.

Das Gastgeschenk, das mein Herr für den jungen König mitnehmen will, ist zum Glück nicht sperrig. Er macht gute Geschäfte mit dem Harz, das von den Beeren eines großen Strauchs gewonnen wird. Es soll desinfizierend wirken und Schleim lösen. Das Zahnfleisch soll es stärken und Parodontose verhindern. Weinfässer sollen damit ausgeräuchert werden, um den Wein haltbar zu machen. Ich brauche so etwas nicht. Mein Herr weiß jedoch, wie begehrt es bei vielen Menschen ist. Frauen sollen die Myrrhe, so nennen sie das Harz, gegen unreine Haut benutzen. Sie beräuchern sich damit, wenn sie erkältet sind. Was der erst wenige Tage alte König mit dem Harz anfangen soll, weiß ich nicht. Wenn ich auch nichts sagen darf – merkwürdig finde ich es dennoch, das einem jungen König zu schenken.

Wenn ich mich am Abend vor unserer Abreise im Sand schlafen lege, werde ich etwas Wüstensand zusammenscharren und ihn in einer Kokosschale verstecken. Den will ich dem Kind mitnehmen. „Aus einer Gegend mit diesem Sand komme ich“, werde ich ihm sagen. „In dem Sand lebe ich. Mehr brauche ich nicht zum Leben.“ Das Kind soll wissen, wie wenig ich benötige, um glücklich zu sein.

Meinem Herrn sage ich nichts davon. Er will dem neuen König Myrrhe-Balsam schenken. Das sei ein alter Brauch, meinte er. Herrlichen Wohlgeruch soll er verbreiten. Die Toten würden damit einbalsamiert, damit sie im Grab Wohlbefinden verspüren. Das hat er gesagt. Ich will mich dazu nicht weiter äußern. Ich bleibe bei einer Portion Sand. Ich brauche nur Sand, und ich hoffe, dass der junge König das versteht.

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