Die Guten ins Töpfchen

In welcher Schublade mag die „eingehende persönliche Charakterisierung des Bewerbers“ gelandet sein, als ich mich zum Studium der Theologie angemeldet hatte? Kurz vor dem Abitur hatte ich mich dazu entschlossen und mein bisheriges Vorhaben, der Kunst oder dem Schuldienst den Vorrang zu geben, aufgegeben.

Der beauftragte Pfarrer ließ mich wissen, Auskunft über mich erteilen zu müssen. Um welchen Posten hatte ich mich beworben? Musste ein Personalchef von meinen Qualifikationen überzeugt werden? Ob ich zum Bewerbungsgespräch geladen wurde?

Ich weiß nicht, was der Pfarrer mitgeteilt hat. „Streng vertraulich“ hieß es. Warum die Geheimniskrämerei? Ich hoffe, dass sie dem Pfarrer keine schlaflosen Nächte bereitet hat. Immerhin ließ er durchblicken, er müsse ein Sittenzeugnis schreiben, das unmittelbar, ohne es mich lesen zu lassen, an den Direktor des Konviktes zu senden sei. Geheime Kommandosache, die nicht dem Transparenz-Gebot unterlag.

Ich wusste nicht, dass eine Integritätsprüfung anstand  in Form eines Tauglichkeit-Zeugnisses. Brautleute mussten sich vor der kirchlichen Eheschließung einem Examen unterziehen. Sie wurden nach möglichen Ehehindernissen befragt. Es wurde geprüft, ob sie eine unauflösliche Ehe eingehen wollten. Zudem hatten beide ihr Zusammenleben auf die Zeugung und Erziehung von Kindern auszurichten. Kirchen-bürokratische Hürden und Vorschriften.

Für mich war neu, dass Bereitschaft und Eignung für das Theologiestudium ähnlich geprüft wurden wie die Tauglichkeit für die Ehe oder den staatlichen Wehrdienst. „Katholisch und schwindelfrei“ muss jemand sein, der sich als Dombaumeister im Erzbistum bewirbt. Mitabiturienten, die Medizin studieren wollten, wurden vorher nicht auf ihre sittliche Reife getestet. Ich hielt mich gesundheitlich und intellektuell für geeignet. Das reichte nicht.

Die Vatikanische Kongregation für das Katholische Bildungswesen hatte eine Grundordnung für die Ausbildung der Priester erlassen. Die Berufung zum Priestertum sei ein übernatürliches Geschenk, das vollkommen unverdient sei, hieß es darin. Es sei ein faszinierendes, beglückendes, erfüllendes Geschenk, ergänzte ein Generalvikar. Priester zu sein, übersteige alle menschlichen Kräfte. Priestersein bedürfe besonderer Gnade.

Das unverdiente Berufungs-Geschenk dürfe nur angenommen werden, schränkte die römische Kongregation ein, wenn physische, psychische, moralische und geistige Qualitäten vorhanden seien. Die müssten sorgfältig geprüft werden.

Gott lasse es seiner Kirche nicht an Dienern fehlen, wenn man nur die Fähigen auswähle, steht im Vatikanischen Dekret. Man konnte aus dem Vollen schöpfen. Die Guten ins Töpfchen, die Anderen sonst wohin. Entweder-Oder-Kategorien. Die Leistungsethik der Nachkriegs-Jahre wirkte nach. Gott würde rechtzeitig für geeigneten Nachschub sorgen. Die Illusion einer immerwährenden Kontinuität nährte solche Zuversicht.

Ehe ich mich auf den Weg machte, wusste ich, dass mein Weg ein außerordentlicher war. Zweifel waren ausgeschlossen. Meine bisherige Schullaufbahn war schon keine normale gewesen. Auf einer „Höheren Schule“ hatte ich mein Abitur gemacht, nicht nur die „Volksschule“ absolviert. Viele Mitschülerinnen und Mitschüler waren nicht weniger qualifiziert als ich, hatten aber niemanden, der ihnen den Weg für weitere Qualifikationen ebnete.

Meine menschliche Reife stand außer Zweifel, wenn ich für den angestrebten Weg als geeignet angenommen wurde. Mein künftiges Leben würde ein besonderes Leben sein, geprägt vom Gefühl der Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse, zu einer Schar Auserwählter. Ich gehörte zu den Guten.

Ein Glück, dass ich meinen Wunsch aus Kindertagen, Lokomotivführer zu werden, früh genug aufgegeben hatte.

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