Endstation Sehnsucht

pendeluhr

Eine Instruktion der Römischen Klerus-Kongregation informiert darüber, wie man „unnütze Konflikte in der Seelsorge“ vermeidet. Priester sollen sich „voll mit der kirchlichen Disziplin und dem Lehramt identifizieren und für die Einhaltung der kirchlichen Normen in der Gemeinde eintreten“.

Schade, dass ich das nicht früh genug erfuhr. Konflikte sind lösbar, wenn man sich weit genug von ihnen fern hält. Die römische Unterweisung könnte eine Satire sein.

Vor meinem Dienstantritt in einer Großstadt-Pfarrei hatte mich eine nicht zu begründende Unsicherheit erfasst. Die dortige Kirche war im Krieg zerstört worden; ihre Reste wurden später gesprengt. Der Wiederaufbau hatte der Kirche ein neues Gesicht gegeben. Sie war Symbol des Niedergangs gewesen; jetzt sollte sie Zeichen der Hoffnung werden. Sie erlebte Ende und Neubeginn.

Ich könne bei der Neugestaltung mitwirken, war ich ermuntert worden. „Aus Verbundenheit mit dem Herrn und seiner Kirche werden Ihnen Kraft und  Bereitschaft zu selbstlosem, eifrigem Tun erwachsen“, stand im  Ernennungsschreiben. Die Macht der Selbstlosigkeit sollte bald auf eine Probe gestellt werden.

„Meine bisherigen Kontakte in der Gemeinde lassen kein gutes Gefühl in mir aufkommen.“ Das hatte ich dem Pfarrer meiner vorherigen Dienststelle mitgeteilt. Es kam wie befürchtet: Mein Aufenthalt war zu Ende, ehe er richtig begonnen hatte. Kein Hoffnungsträger. Kein Platz für Illusionen. Hätte ich den Beipackzettel lesen sollen? Ich hätte mir etliche missliche Erfahrungen erspart.

Die Dienstwohnung, die ich beziehen sollte, hatte seit vielen Jahren keinen Pinselstrich gesehen. Man ließ sie trotz Anweisung durch die kirchliche Baubehörde nicht renovieren. Als ich eine Bleibe in der Nachbargemeinde suchte, war das eine Kriegserklärung. Blütenträume erfroren in den Frösten des Spätherbstes.

„Endstation Sehnsucht“. Das Drama von Tennessee Williams über den Übergang von aristokratischen Strukturen zu anderen Gesellschaftsformen in den amerikanischen Südstaaten weckte Assoziationen. War das hier ein Störfall oder mehr? Wohin führte mein Weg? Wie sah meine Zukunft in der Kirche, mit der Kirche aus?

Für den Erzbischof war es nicht leicht, eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung zu finden. „Sie werden verstehen“, schrieb er mir, „dass es für mich schwer ist, eine gerechte Entscheidung zu treffen. Es müsste möglich sein, in der Pfarrei Lösungen zu finden.“ „Mer  rejele alles selvs – Wir regeln alles selbst.“ Das Motto einer Karnevalssitzung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend galt leider nur im rheinischen Karneval.

Ein Mitpriester riet mir, mein Weihe-Versprechen zu erneuern. Das werde mir neue Impulse verleihen. Auch die Bischöfe riefen zur jährlichen Bestätigung des Versprechens auf. Das grundsätzliche Ja zur Berufung für das Priestertum müsse immer wieder erneuert  werden

Warum sollte ich meine Bereitschaft zu Treue, Einsatz und Hingabe bestätigen und das Weihe-Versprechen auf Gehorsam sowie das Bekenntnis zur Ehelosigkeit wiederholen? Ich hielt es immer noch für gültig und erneuerte nicht.

Es könne kein größeres Glück geben, als den Willen des Herrn zu erfüllen und Gott über alles zu lieben, hatte der befreundete Priester gesagt. Wenn das zutraf, würde sich mein Glück bald einstellen. Oder höhlte steter Tropfen den Stein? Ein Tropfen höhlt den Stein durch Beharrlichkeit, schreibt ein griechischer Epiker im 5. Jahrhundert v. Chr. Er erklärt damit den Erfolg der Griechen in den Perserkriegen.

Eine positive Deutung. Bei mir überwog das beharrliche Trommeln auf meine Frustrationstoleranz und hinterließ Ein-Drücke.  Die ökumenische Bewegung, die sich um eine Annäherung der christlichen Kirchen mühte, wurde in Verbindung mit dem Einzug des ungläubigen Protestantismus in die Katholische Kirche gebracht. Vierzig Jahre später lud die Alt-Katholische Gemeinde der Stadt zum „Ökumenischen Gottesdienst der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen“ ein. Es gab also eine gemeinsame Basis.

Für uns ist es heute selbstverständlich, wenn ein Evangelischer Landesbischof die Zusammenarbeit protestantischer und katholischer Christen als Erfolgs-Meldung bezeichnet und die großen Schnittmengen zwischen den Konfessionen betont. Der Wettbewerb um Ideen und Formen der Verkündigung kann zur Schärfung des je eigenen Profils beitragen.

In einem Aufruf an die Firmlinge der Pfarre hieß es: „Aus dem sorglosen Kind wird durch die Firmung ein Erwachsener, ein mündiger Christ, der aus eigener Verantwortung für den Glauben für sich und für jeden Menschen sorgt, der Hilfe braucht.“ Wer oder was hinderte daran, das geschehen zu lassen?

Es gelang nicht, mit den Konflikten offen umzugehen. Als ich in einem Gespräch an Mahatma Gandhi, den indischen Freiheitskämpfer, erinnerte, der sich an der biblischen Bergpredigt orientiert hatte, wurde mir nahegelegt, nach Indien auszuwandern. Als zur gleichen Zeit zum ersten Mal Menschen den Mond betraten, hätte man mir auch dort eine Bleibe gegönnt. Dagegen sprach, dass die Landefähre des Raumschiffs, die am Meer der Ruhe gelandet war, mit den Astronauten zur Erde zurückkehrte.

Es kann sein, dass mich die Situation vor Ort überforderte. Wie ich glaubwürdig die christliche Botschaft der Liebe und des Verstehens leben und verkünden konnte, darauf fand ich keine Antwort. Ich wurde versetzt. Vermutlich wollte mich der Erzbischof aus der Schusslinie nehmen. Die Zwiespältigkeit des Lebens holte mich ein.

Ich übernahm eine Aufgabe in einer anderen Pfarrei, die mir bekannt war. In dieser Stadt hatte ich neun Jahre das Gymnasium besucht und das Abitur gemacht. Pfarrer der Gemeinde war der ehemalige Direktor des Theologen-Konvikts, in dem ich während der ersten Studiensemester gewohnt hatte. Das Radio im Bücherregal ließ grüßen.

0 - 0

Danke für Ihre Abstimmung!

Sorry, Sie haben schon abgestimmt!