Frei werden wollen

pendeluhr

Vor einem erneuten Lokaltermin im Generalvikariat formulierte ich ein Schreiben an „Seine Eminenz, den Hochwürdigsten Herrn Präfekten der Congregatio Pro Doctrina Fidei“ in Rom. Vier Jahre später wurde Joseph Kardinal Ratzinger von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten dieser Kongregation berufen. Für mich war sie dennoch eine anonyme, geheimnisumwitterte Instanz, deren Verfügungsmasse ich dem Anschein nach war und von deren Entscheidung meine Lebensplanung abhängig sein sollte.

Dass ihr wiederum deutscher, gegenwärtiger Vorsteher in einem Interview äußerte, das Wichtigste für die Glaubenskongregation bestehe u. a. darin, sich um „Delikte gegen den Glauben oder die Heiligkeit der Sakramente“ zu kümmern, macht diese Organisation nicht sympathischer.

Ich ließ ihn wissen, keine Bittschrift an ihn zu richten, sondern einen förmlichen Antrag. Ich wolle keine vorübergehende Auszeit beantragen, sondern einen Schlussstrich ziehen. Die Endgültigkeit meines Entschlusses stehe fest. Es gehe mir um einen ehrenvollen Abschied aus dem priesterlichen Dienst. Mein Vorhaben zu heiraten stehe fest. Daran werde mich auch eine schlechte oder weniger schlechte Nachricht aus Rom nicht hindern.

Der Prälat, der das nach Rom weiterleiten sollte, fühlte sich nicht besonders wohl in diesem Augenblick. In Empörungs-Rausch verfiel er nicht, da er spürte, dass ich mich aus meiner zwischenzeitlichen Erstarrung gelöst hatte und nicht als Gefangener einer römischen Behörde betrachtete. Auch er strebte eine befriedigende Lösung an.

Quousque tandem, Catilina, abutere patientia nostra? – Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld missbrauchen?“ zitierte ich den römischen Staatsmann Cicero mit seiner Rede gegen den Verschwörer Catilina. Der Prälat kannte mein Faible für römische Geschichte und schmunzelte.

Neue Begründungen für meine Entscheidung gab es  nicht. Meine Persönlichkeitsrechte waren mir ebenso wichtig wie kirchliche oder moralische Verordnungen. Auf keinen Fall sollte mein Schreiben den Charakter eines Kapitulationserklärung haben.

Wenn man in der Welt einen Fehler macht, werde man gebrandmarkt und ausgegrenzt, bedauert die Römische „Kongregation für die Institute geweihten Lebens“. Die Kirche biete Möglichkeiten der Rehabilitierung. Ich hatte nichts zu rehabilitieren und musste keine Fehler eingestehen, die mich reumütig um Vergebung bitten ließen. Geschichten „aus dem Leben eines Taugenichts“ hatte ich nicht zu bieten.

Sollte es missgünstige Indiskretionen gegeben haben von Personen, die jeden verdächtigen Windhauch registrieren und ihre Beobachtung dem bischöflichen Briefkasten zuspielen, hätte ich mich gegen Legenden-Stricker zu wehren gewusst. Dem Generalvikariat musste bewusst sein, dass es selbst zur Legende wurde, wenn es sich mit Legenden befasste. Ich hatte kein schlechtes Gewissen.

Grundsatzdebatten über das Pro und Contra meiner Bitte um Laisierung wollte ich nicht führen. Ich hatte mich entschieden. Ich erwartete weder Milde noch Großzügigkeit, um ins Gelobte Land der Ehe, so hatte es der Prälat einmal formuliert, übersiedeln zu können.

Aus Gewissensgründen hatte ich mich entschlossen, den priesterlichen Dienst aufzugeben und zu heiraten – kein Ausdruck psychologisch instabilen Verhaltens oder moralischer Schwäche; kein Abwägen von Nutzen oder Wirkung.

Ich suchte nicht das Außerordentliche, war des priesterlichen Lebens nicht überdrüssig und wollte meine Bindungen an die Kirche nicht aufkündigen. Es ging mir darum, frei zu werden für einen neuen Lebensabschnitt.

Wohin hätte ich nach Rücknahme oder Ablehnung des Gesuchs zurückkehren sollen? In eine Pfarrgemeinde? In eine Liebesbeziehung im Schatten des Zölibats? Dass Frauen und Töchter klerikales Freiwild gewesen sein sollen und vor unerwünschten Nachstellungen durch Priester geschützt werden mussten, behauptet die Gerüchteküche. Dass man Priestern eine Konkubine zubilligte, um weibliche Familienmitglieder vor ihnen zu schützen, hielt ich für abenteuerliche Erzählungen aus 1001 Nacht.

Die Unterstellung, jeder zweite Priester nehme es nicht genau mit der priesterlichen Keuschheit und jeder dritte lebe in einer festen Beziehung, war ebenfalls keine ernsthafte Argumentation. Die Frau, die ich heiraten wollte, war keine geheime Begleiterscheinung, die in den Mantel der Verschwiegenheit gehüllt werden musste. Wir wollten heiraten – auch kirchlich, nicht nur standesamtlich. Voraussetzung war meine von Rom  bestätigte Laisierung.

Seit einem Dokument von 1978 soll es kaum noch positive Bescheide auf Laisierungs-Begehren gegeben haben. Meinen Antrag hatte ich zwei Jahre vorher eingereicht. Wenn sich die amtliche Kirche hinter einer Rechts-Agentur verschanzt, wird sie sich nicht nur von mir Abschied nehmen müssen.

Die fest eingeplante Hochzeitsfeier musste nicht im überlauten Festsaal gefeiert werden. „Sine pompa – ohne pompöses Gehabe“. Ohne „Preußens Glanz und Gloria“, hatte der Prälat hintergründig empfohlen. Auf laute Trommelschläge, Fanfarenstöße, Glockenklänge konnten wir verzichten. Hochzeits-Trommeln mussten kein concerto grosso intonieren, keine „Ode an die Freude“ hinaus posaunen. Aber die Feierlaune wollten wir uns nicht verbieten lassen.

0 - 0

Danke für Ihre Abstimmung!

Sorry, Sie haben schon abgestimmt!