Heinz Zenzes und seine wundersamen Schätze

Alle Fotos: PJD

Coblenz, den 28.12.81
Geliebte Eltern, Oheim und Geschwister
Jetzt nach vergangenem Weinachtsfeste will ich euch mal schreiben wie es mir überhaupt mit Weinachten gegangen ist. Es sind viele in Urlaub gefahren, weit über die Hälfte, alle die gefragt haben, haben fast Urlaub erhalten.

Als der Großvater von Heinz Zenzes den Brief schrieb, leistete er in Koblenz seinen Militärdienst ab. Er schien nicht sonderlich an Urlaub interessiert zu sein. Das kann man als Indiz für seine „Bauernschläue“ werten, denn er führte weiter aus: „Unter dem Christbaum lagen Brieftaschen, Hosenträger, Notizbücher, Zigarrenspitzen und andere Sachen. Es gab eine Verlosung der Geschenke. Dazu ein Abendessen, wie ich es lange nicht mehr gehabt habe, und Bier genug.“

Heinz Zenzes pflegt seine Schätze, nicht nur den oben genannten, in Sütterlin-Schrift verfassten Brief von 1881. Wer einen Blick hinter das Gemäuer der Fachwerk-Hofanlage in Mönchengladbach-Hardt werfen darf, gerät ins Staunen, auf welche Schatztruhe er trifft.

Die meisten landwirtschaftlichen Aktivitäten auf dem Hof hat Heinz Zenses inzwischen einem Sohn übertragen. Trotz seiner fast 83 Jahre ist er hellwach und erledigt per Fahrrad tägliche Erledigungen. Statt sich irgendwo in die Hängematte zu legen, begibt er sich an einem bestimmten Wochentag mit einer „Zweitausführung“ seines „Hofladens“ in eine Nachbarstadt und bietet Obst und Gemüse aus eigener Ernte an.

Sein Familienname leite sich von „Vinzenz“ ab, erklärt er mir. Namen haben ihre Geschichte. Manchmal ist sie offen ersichtlich, wenn ursprüngliche Berufsbezeichnungen dahinter ablesbar sind wie „Müller“, „Jäger“ oder „Schumacher“.

„Geliebte Eltern“. Für Heinz Zenzes sind die alten Briefe wertvolle Dokumente und Zeugnisse für Gegenwart und Vergangenheit seiner Familie und seiner Ahnen. Dazu zählt auch ein Schreiben von 1813, ebenfalls in Sütterlin-Schrift, aus der Zeit der Befreiungskriege, die Napoleons Herrschaft über Europa beendeten.

Was treibt diesen Landwirt an, im Internet zu stöbern, Museen aufzusuchen, Geschichten von seinen Schätzen aufzuspüren und nach neuen Schätzen Ausschau zu halten? Weil das, was gestern war und entstand, auch heute für ihn Bedeutung hat. Geschichte kann und will er nicht verschwinden lassen. Er bedauert, dass die junge Generation das leicht übersieht und scheinbar so lebt, als gebe es weder gestern noch morgen. Aus eigener Erfahrung weiß er aber, dass dies kein endgültiger Befund sein muss.

Wir stehen vor dem großen, mit Blumen bepflanzten Gefäß im Innenhof. Kein überdimensionaler Blumentopf, sondern ein alter Kupferkessel für eine Krautpresse. Äpfel, Birnen oder Zuckerrüben wurden zu „Kraut“, einem begehrten Brotaufstrich, verarbeitet. Krautpressen gehörten zu landwirtschaftlichen Einrichtungen. Der genietete Kessel, von außen mit Mörtel eingekleidet, stand eingemauert im Hof und wurde über offenem Feuer erhitzt. Aus meiner eigenen Familiengeschichte weiß ich, wie leicht die Krautmasse anbrannte, wenn das Obst nicht ständig umgerührt wurde.

Auf Bauernhöfen wurde gewogen. Dazu gehörten Kenntnisse über Erntemengen, über Futterzukauf für das Vieh und über das Verteilen von Düngermengen. Heinz Zenzes sammelte also Waagen: Waagen mit Schiebegewichtseinstellung, Balkenwaagen, Kaufmannswaagen, Haushaltswaagen, Apotheker-Waagen. Auf eine „Papierwaage“ macht er mich aufmerksam, die das Papiergewicht in Gramm pro Quadratmeter berechnet. Eine metallene Flüssigkeitswaage aus dem 19. Jahrhundert mit gedrechseltem Holzköcher, mit der die Dichte einer Flüssigkeit gemessen werden konnte, gehört ebenfalls zu seiner Sammlung.

Zum Wiegen benötigte man Gewichtssteine. Heinz Zenses kann sie mir in allen möglichen Ausführungen präsentieren, aus unterschiedlichen Materialien gefertigt, in verschiedenen Größen und  Maßangaben. Besonders erwähnenswert sind ihm die um 1918 im ersten Weltkrieg hergestellten „Porzellangewichte“ in 500/200/125/100 Gramm. Die im Foto dargestellten Steine tragen u. a. die Bezeichnungen 1 Z Pf, 2 Z Pf, 3 Z Pf. Das bedeutet, dass ihr Gewicht in Zoll-Pfund berechnet wurde.

Die Gewichtssteine sind in Zoll-Pfund angegeben, z. B. 3 Z. Pf.

Der Zollverein besaß die Hoheitsrechte über Maße und Gewichte mit dem Ziel, einen von Handelsschranken geschützten Wirtschaftsraum zu schaffen. Ein Gesetz von1816 schuf innerhalb Preußens erste Handels-Vereinfachungen in Form eines einheitlichen Messwesens – noch nicht das französische, metrisch-dezimale Maß- und Gewichtssystem wie in anderen Deutschen Ländern. Um Verwechslungen mit deren Gewichten auszuschließen, stand auf Preußischen Gewichten neben der Gewichtsangabe ein „Pr.“ für Preußen. 1818 fielen in Preußen die Zollschranken. Das führte zur Preußischen Freihandelszone. Ihr schlossen sich nach und nach andere deutsche Länder an. So kam es am 1. Januar 1835 zur Gründung des „Deutschen Zollvereins“, unter Führung Preußens.

Inzwischen haben Eichämter den Zollverein abgelöst. Sie sind zuständig für das gesetzliche Messwesen, konkret für die Eichung sowie für die Verwendung und Marktüberwachung von Messgeräten.

Was nicht gewogen wurde, musste gemessen werden – mit einem Scheffel oder einem Malter; zwei alte, deutsche Getreide-Maße. Die Kartoffel-Schälmaschine musste natürlich nicht messen. Dieses Küchengerät schälte, was rund war. Mit einem Augenzwinkern betont der Sammel-Experte, dass es klimafreundlich und ohne Strom funktionierte. Menschlicher Erfindergeist kannte und kennt keine Grenzen.

Heinz Zenzes ist bei all dem mit Leib und Seele Landwirt geblieben. Mit wachem Geist verfolgt er aktuelle Fragen und Probleme, mit denen sich die Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse konfrontiert sehen. Er verkennt nicht Fehlentwicklungen, weist aber hin auf kontinuierliche Kontrollen von Ackerflächen und landwirtschaftlichen Produkten, die verantwortliches Handeln gewährleisten sollen.

Er ist im wahrsten Sinn das, was für viele seiner Schätze gilt: Heinz Zenzes ist eine Rarität.

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