Im Tal des Essens und Trinkens

In der Bauernhof-Gaststätte hatte ich am frühen Nachmittag Marende bestellt, eine Portion Südtiroler Bauernspeck. Von einem Appetithappen zwischen Mittag- und Abendessen war ich ausgegangen. Ich hätte eine Sippe damit ernähren können. Ein großer Holzteller, gefüllt mit Käse und stark geräuchertem Schinken, stand vor mir. Hungersnöte hatte ich nicht hinter mir und daher keine Chance, die Fülle zu bewältigen.

Ähnlich war es mir mit den Knödeln ergangen. Das ernährungsgeschichtliche Urgestein ist so unverzichtbar, dass es auf keiner Speisekarte fehlte. Ich weiß nicht, wie viele Knödel-Variationen auf meinem Teller landeten. Spinatknödel und Käseknödel, Zwetschgenknödel und Marillenknödel, Semmelknödel und Speckknödel. In vieler Hinsicht musste ich bisherige Essgewohnheiten vergessen und mich an neue gewöhnen. Das Frühstück hieß „Vormess“, vor der Messe; gefolgt vom „Halbmittag“, eine Jause am späten Vormittag. Die „Marende“ schloss sich als Brotzeit am späten Nachmittag an. Wenn ich in dem kleinen Café den Apfelkuchen probieren wollte, musste ich vorher gefastet haben. Apfelstrudel, Hefe-Apfelkuchen, Apfelweinkuchen, Versunkener Apfelkuchen – der Urlaub war zu kurz, um so viel Hunger zu haben. Auf das „Nachtmahl“ hätte ich verzichten können, aber ich wusste nicht, wann ich wieder hier her kommen würde.

Es schien zudem nicht aufhören zu wollen mit Schüttelbrot und Vinschger Paarl, mit Keschten und Esskastanien, mit Schlutzkrapfen und Teigtaschen. Niemand muss am Hungertuch nagen. Milchfest und Knödelfest, Brotmarkt und Strudelmarkt, Speckfest und Joghurttage, Kastanienwoche und Apfelwoche – man liebt das Leben. Es soll Diät-Angebote geben, die Übergewichtigen einen leichteren Lebensstil schmackhaft zu machen versuchen. Dass sie wahrgenommen werden, ist unwahrscheinlich. Wer kann Schlutzkrapfen mit Lamm-Thymian-Füllung, Zwetschgenkompott mit Kucheneis ignorieren?

Abends saß ich im Verkostungsraum eines ehemaligen Fohlenhofs. Ursprünglich war er vom österreichischen Kaiser als Sanitätsstation für fußkranke Pferde erbaut worden. Der erste Haflingerhengst, Urvater aller Haflinger, wurde hier großgezogen. Jetzt lernte ich zusammen mit anderen fußkranken Wanderern in der „Bäuerlichen Brennerei“ eine weitere Kostbarkeit kennen. Der Reichtum an Obst veranlasst die Einwohner, Edelbrände herzustellen. Ein edles Destillat wird gebrannt. Das Brennen, erzählte der Brennmeister, sei ein Spiel von Können und Passion, unterstützt von der ausgefeilten Technik eines modernen Brennkessels.

Ein paar gebrannte Kostbarkeiten traten mit mir den Heimweg an. Die Edelbrände werden mich ans Tal des verführerischen Essens und Trinkens erinnern. Die Ess- und Trink-Kultur entspricht der Lebenslust der Menschen. Soll man auf sie verzichten um der Dauer eines längeren Lebens Willen?

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1 Kommentar zu "Im Tal des Essens und Trinkens"

  1. Margret Hauke | 13. August 2017 um 12:13 |

    Wir lieben Südtirol seit Jahren. Und das nicht nur wegen der Quantität der Speisen.
    Es sind neben der schönen Landschaft auch das Wetter, der Wein und die Menschen mit ihrem herrlich unkomplizierten Wesen.

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