Der sparsame Applaus deiner Mitbrüder und ihr gequältes Lächeln werden dir nicht entgangen sein, Heiliger Vater. Ein Wohlfühl-Programm und gute Wünsche hatten sie erwartet, als sie sich um dich geschart hatten und nicht nur an die Zukunft der Kirche, sondern auch ein wenig ans eigene Frohlocken dachten.
Es ist noch nicht lange her, dass dich deine ehemaligen Kollegen im Bischofsamt zu ihrem Chef wählten. Dass sie sich in den vergangenen Monaten Kritisches zur Lage der Kirche im allgemeinen und zur Vatikanischen Bürokratie im besonderen anhören mussten, haben sie dir im Stillen verziehen.
Die meisten werden verstehen, dass deine in ihren Kreisen ungewohnte Bescheidenheit dahinter steckt, mit der du das päpstliche Amt verwaltest. Sie tun sich noch schwer damit, aus ihrer Verwunderung über Deine Regentschaft Bewunderung werden zu lassen. Ihre Bereitschaft, dich zu verstehen, muss wachsen. Dass dein Verhalten lediglich Strategie ist, werden sie dir nicht unterstellen.
Was sollen die ehrwürdigen Mitbrüder denken, wenn du, wie sie es empfinden, in ihr beschauliches Leben Unruhe hineinbringst und ihre unerschütterliche Gelassenheit in Frage stellst? Sie sagen nicht „Du darfst das nicht“, weil sie dir Gehorsam gelobt haben; aber du machst sie einigermaßen sprachlos.
Ihre körperliche und geistige Verfassung hast du angesprochen. Von den Problemen, die du erwähntest, werden sie nie gehört haben. Oder sie nehmen an, dass nicht sie, sondern andere gemeint waren. Ein Bündel zukunftsträchtiger Verheißungen hast du ihnen nicht geschnürt.
Wie sollen sie begreifen, dass du sie vor spirituellem Alzheimer warnst? Sanctus Spiritus – der Heilige Geist ist ihnen natürlich vertraut. Der Erleuchtung durch ihn sind sie sich bewusst und sicher.
Jetzt verbindest du das übernatürliche Gnadengeschenk mit einer Krankheit des Vergessens. Mag sein, dass sie schon einmal vergaßen, ihr Gebetbuch mit in den Petersdom zu nehmen. Aber sich nicht daran zu erinnern, dass nicht sie für das Heil der Menschen zuständig sind, sondern ihr göttlicher Meister im Himmel, halten sie für ausgeschlossen.
Sie tragen nicht immer leicht an der Verantwortung, die ihnen aufgebürdet wurde. Daher vertrauen sie darauf, dass du über mögliche Schwächen nachsichtig hinweg siehst. Sie möchten auch in Zukunft Pluspunkte bei dir sammeln und an die heile Welt glauben, in der die alten Regeln gelten.
Ist dir die Verunsicherung aufgefallen, die sich bei ihnen breit machte? Manche empfanden deine Worte als Spießrutenlauf. Andere hielten sie für einen bösen, nächtlichen Traum. Totenstille herrschte in ihren Reihen, als du sprachst. Kaum wagten sie, zu dir aufzuschauen; wahrscheinlich aus Sorge, du könntest jemanden persönlich gemeint und Anzeichen geistiger Erstarrung festgestellt haben.
Von Rivalität und Eitelkeit hast du gesprochen. Sie konnten nicht gemeint sein. Lao-Tse, chinesischer Weiser und Philosoph, hat Ähnliches vor vielen hundert Jahren geäußert und mit der Mahnung verknüpft, wer sich auf die Zehen stelle, stehe nicht fest auf dem Boden.
Nein, werden die ehrwürdigen Mitbrüder gedacht haben, wenn ihnen Beifall und Bewunderung zuteil wird, dann als verdiente Belohnung für das, was sie geleistet haben. Wer sie Wichtigtuer nenne, wisse zu schätzen, dass sie Wichtiges vollbracht hätten. Auf Eitelkeits-Trophäen legen sie keinen Wert.
Dass ihre außerordentlichen Tätigkeiten auch in der Kleidung und durch angemessene Auszeichnungen hervorgehoben werden, verstehst du, Franziskus. Du weißt, wie bescheiden und zurückgezogen deine bischöflichen Brüder ihren priesterlichen Alltag verbringen. Dennoch wirst du verstehen, dass sie sich ihrer Bedeutung eher bewusst sind, wenn andere registrieren, dass ihnen ein Würdenträger begegnet. Sendungsbewusstsein und Selbstbewusstsein sind intakt. Du wirst es ihnen nachsehen.
Heiliger Vater, sie werden deine Worte als geschickt verpacktes Lob verstanden haben. Frag sie nicht, ob sie dich schätzen und respektieren. Es könnte ihnen Mühe bereiten, ihre Gedanken in Worte zu fassen. An deine blumige, durch deine argentinische Heimat geprägte Sprache müssen sie sich erst gewöhnen – auch an die ungewohnten Maßstäbe, die du anlegst bezüglich ihrer Integrität und Loyalität.
O Franziskus, vielleicht waren sie überfordert. Nie zuvor gehörte Botschaften waren das für sie. In ihrem Alter schaffen sie es nicht schnell, von Gewohnheiten vergangener Zeiten Abstand zu nehmen. Ballast über Bord zu werfen, sich auf Wesentliches zu konzentrieren – solche Anforderungen sind neu. Du wirst Geduld mit ihnen haben müssen..
Irritiert waren sie, als du von der Geschwätzigkeit sprachst. Wenn sie dir zuhören, können sie sich nicht gleichzeitig darüber austauschen, wer demnächst den Kardinalshut empfangen und in der vatikanischen Hierarchie nach oben steigen wird. Sie suchen mitbrüderlichen Kontakt, um Antworten auf ihre Fragen zu finden. Zudem wollen sie nicht, das sage ich im Vertrauen, rat- und tatenlos zuschauen, wie du die Kirche entrümpelst und Bewährtes zur Disposition stellst.
Heiliger Vater habe ich dich genannt. Wie lange wirst du dich so betiteln lassen? Ist es dir lieber, wenn ich „Lieber Mitbruder“ sage? Ob du diese Anrede auch den um dich gescharten Eminenzen empfiehlst, musst du entscheiden. Bis zur nächsten Ansprache hast du noch Zeit. Wenn du dann noch Papst bist, werde ich sehen, wie weit dein Entrümpeln gediehen ist.
Ich weiß, dass es vermessen erscheint, von mir zu reden. Zwölf Jahre habe ich treu meinen Dienst getan. Eine lange Zeit, wenn du sie einplanen musst auf dem Stuhl Petri. Aber bedenke, du hast eine Menge Arbeit vor dir. Ich wünsche dir Durchhaltevermögen und viel Glück.