Bürgerbegehren zu Energiethemen: Sankt-Florians-Prinzip bleibt die Ausnahme

Bürgerbegehrensbericht 2012 vorgestellt: Knapp 6.000 Verfahren auf Gemeindeebene

In mittlerweile 5.929 Fällen hat die direkte Demokratie die Politik in Deutschlands Gemeinden beeinflusst:
5.027 Bürgerbegehren wurden durch Initiativen aus der Bevölkerung angestoßen, in 810 Fällen initiierte der Gemeinderat sogenannte Ratsreferenden,
in 2.806 Bürgerentscheiden wurde über eine Sachfrage abgestimmt.

Das ergibt der Bürgerbegehrensbericht 2012, den der Verein Mehr Demokratie gemeinsam mit Forschungsstellen zur Bürgerbeteiligung an den Universitäten Wuppertal und Marburg erstellt hat.
Bürgerbegehren und -entscheide werden demnach intensiv genutzt. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Bürgerbegehren bei etwa 300 pro Jahr eingependelt.
„Die direkte Demokratie in den Kommunen wird immer selbstverständlicher und belebt die Kommunalpolitik“, sagt Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie.

„Insgesamt sind rund 40 Prozent aller Verfahren erfolgreich im Sinne der Initiatoren – es lohnt sich also, sich mit direkter Demokratie einzumischen“, erklärt Beck.
27 Prozent aller von unten initiierten Begehren werden allerdings für unzulässig erklärt. Vielen Bürgerbegehren werden hohe Unterschriften- und Abstimmungshürden oder Themenausschlüsse zum Verhängnis.
„Wenn Bürgerbegehren scheitern, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Bevölkerung kein Interesse hatte. Schon ein fehlerhafter Kostendeckungsvorschlag oder eine ungeschickte Formulierung können in manchen Ländern das Aus für eine Initiative bedeuten.“

„Schafft es ein Bürgerbegehren bis zur Abstimmung, so sind Zustimmungshürden von bis zu 30 Prozent der Wahlberechtigten zu überwinden“, erläutert Beck.
Mehr als 13 Prozent aller Bürgerentscheide scheitern daher unecht:
Eine Mehrheit stimmt dafür, die Abstimmung ist aber dennoch ungültig.
„Obwohl viele Bundesländer in den vergangenen Jahren Reformen gewagt haben, besteht durchaus noch Verbesserungsbedarf“, so Beck.
Während die Bürger in den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen und den Flächenländern NRW, Bayern und Hessen relativ häufig an Gemeindeangelegenheiten beteiligt werden, erlebt eine Gemeinde in Rheinland-Pfalz durchschnittlich alle 234 Jahre ein Bürgerbegehren.
„Länder wie Thüringen oder NRW haben die Bedingungen für Bürgerbegehren inzwischen deutlich erleichtert. Es wird Zeit, dass auch die Schlusslichter wie das Saarland oder Sachsen-Anhalt ihren Bürgerinnen und Bürgern mehr zutrauen.“

Die Angst vor kurzsichtigen oder rückwärtsgewandten Entscheidungen ist dabei unbegründet, meint Volker Mittendorf, Leiter des Bereichs Direkte Demokratie an der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Universität Wuppertal.

„Wir haben die Ergebnisse von Bürgerbegehren und -entscheiden zu Energiethemen untersucht und dabei festgestellt, dass das viel zitierte Sankt-Florians-Prinzip eher die Ausnahme als die Regel ist.“
Bürgerbegehren seien keineswegs Bremsklötze für neue Energiekonzepte.
Lediglich im Falle Windkraft überwog die Ablehnung.
In Bezug auf Biomasse- und Solaranlagen ging die Mehrzahl der Verfahren zu Gunsten der neuen Technologien aus.
„Ein gutes Beispiel dafür, dass die Bevölkerung selbst für mehr Nachhaltigkeit und Energiemodernisierung sorgt, ist das Thema Eigenständigkeit von Stadtwerken“, erklärt Mittendorf.
In 24 von 36 Fällen wurden durch Bürgerbegehren der Verkauf von Stadtwerken verhindert oder rückgängig gemacht.
„Zudem entstehen immer mehr örtliche Energiegenossenschaften – eine ganz eigene Form der Bürgerbeteiligung im Zeichen der Energiewende.“

Besonders häufig wollen die Menschen in den Bereichen „Wirtschaft“ (18 Prozent), „Öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen“ (17 Prozent)
sowie „Verkehrsprojekte“ (16 Prozent) mitreden.
„Bei 43 Prozent aller Bürgerbegehrensthemen spielt die Bauleitplanung eine Rolle“, erklärt Mittendorf. „Ausgerechnet dieser Themenkomplex ist aber in vielen Ländern unzulässig. Damit Bürgerbegehren zu einem Bereich, wo großer Mitsprachebedarf besteht, nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind, sollten solche Themenausschlüsse endlich abgeschafft werden.“

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