Entscheidung nach Aktenlage

pendeluhr

Andere Fächer hätte ich unterrichten können, aber deren Inhalte kamen außerhalb von Schule in meinem Alltag nicht in gleicher Weise vor wie Grundthemen christlichen Glaubens und Lebens. Ich fühlte mich in ihnen nicht heimisch. Ihre Inhalte waren mir weithin fremd. Ich wollte nicht in einem Umfeld unterrichten, in dem ich nicht wirklich zuhause war und an dem ich innerlich unbeteiligt blieb.

Es ging nicht um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und neue Reviere, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Daher legte ich Wert darauf, in Fächern zu unterrichten, mit deren Inhalten ich vertraut war.

Viele Schüler lernten im Religionsunterricht zum ersten Mal christlich geprägte Lebensanschauungen und Lebensentwürfe kennen. Sie gewannen Einblick in andere Religionen und Kulturen. Die meisten von ihnen waren es gewohnt, ohne Gott und Kirche zu leben, ohne Verlangen nach religiösem Halt. Groß war ihr Analphabetentum in religiösen Belangen, gering ihr Glaubenswissen.

Mit ihnen wollte ich ins Gespräch kommen, mit ihnen über Gott und die Welt diskutieren. Stigmatisierungen sprach ich an, unter denen Jugendliche am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft leiden. Manche beklagten, dass sie an Entscheidungsprozessen, die ihr Leben betrafen, nicht beteiligt wurden. Es ging um Zukunftsängste, um brüchige Realitäten, um Versagen und Scheitern. Nach Orientierungshilfen und jugendgemäßen Antworten wurde gefragt. Nach Antworten auf die Frage, ob eine Welt außerhalb des täglichen Lebens existierte. Nach Autoritäten, die vermisst wurden.

Der Entzug der Lehrerlaubnis nahm darauf keine Rücksicht. „Rien ne vas plus.“ Nichts ging mehr. Das Erzbischöfliche Generalvikariat, Hauptabteilung Schule, teilte dem Regierungspräsidenten „mit freundlichen Grüßen“ mit, dass für mich ab sofort die kirchliche Bevollmächtigung zur Erteilung des schulischen Religionsunterrichtes entfiel. Die Heilige Mutter Kirche, in Gestalt einer kirchlichen Behörde, entschied nach Aktenlage. Mein religionspädagogisches Engagement wurde auf Eis gelegt.

Ich hatte keine antikirchliche Polemik betrieben, nicht Papst oder Bischöfe verunglimpft, nicht Schmäh- oder Beleidigungsschriften verfasst, nicht das Lehramt der Kirche angezweifelt. Ich war weder als Rebell noch als verführerischer Mephisto aufgetreten. Weder wollte ich aus der Kirche austreten, noch ins Abseits der kirchlichen Glaubensgemeinschaft entfliehen. Meine Bitte um Rückversetzung in den Laienstand rüttelte dem Anschein nach an den Grundfesten von Kirche und  Glauben.

Dass die Schulabteilung des Bistums so reagierte, überraschte dennoch nicht. Das Erzbischöfliche Institut für Religionspädagogik hatte schon einmal seine Entscheidungs-Befugnis demonstriert. Der Ordnung halber hatte ich angefragt, ob ich ein von den Schülern geschätztes religionspädagogisches Taschenbuch eines evangelischen Autors einsetzen könne als schulisches Lehrbuch. Meine Anfrage kam einem Affront gleich. Ich möge doch bitte auflisten, wurde ich aufgefordert, welches offiziell von der Kirche genehmigte Buch nicht im Unterricht einsetzbar sei. Das von mir genannte Buch enthalte „die eine oder andere nette Anregung“, aber die im „Büchlein“ vertretene Theologie sei dürftig. Das Taschenbuch werde keine kirchliche Genehmigung für eine Nutzung im katholischen Religionsunterricht erhalten.

Der Unterton dieses belehrenden Schreibens  – „Wissen Sie das nicht oder wollen Sie das nicht wissen?“ – ließ unmissverständlich heraushören, dass ich in feindliches Schussfeld geraten war. Meinen Schülern sagte ich nichts davon. Da der evangelische Kollege das Buch im Unterricht einsetzte, konnten die katholischen Schüler es mit benutzen. Einübung in frommen Ungehorsam, wie es der Kollege formulierte, musste das nicht bedeuten.

Es gibt ein Maß an Illusion, das man sich pädagogisch zubilligt. Wenn die Illusion dann eine Illusion bleibt, weil ein Stock in die Speichen des Rads geworfen wurde, geht man zur Tagesordnung über oder wechselt das Rad.

Ein Jahr zuvor waren Heinrich und Annemarie Böll aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Sie betonten, weiterhin katholische Christen zu sein, sich jedoch „frei katholisch“ zu bezeichnen. Das kam für mich nicht in Betracht.

Weil kircheninterne Regelungen es vorsahen, durfte ich keine religiösen Unterweisungen erteilen. Quasi Berufsverbot. Arbeitsverbot. Ein Kollateral-Schaden erwuchs daraus, da die schulische Unterrichtsplanung  betroffen war..

Obwohl der Erzbischof mir die vorläufige Aberkennung der Missio angedeutet hatte, war ich innerlich nicht darauf eingestellt. Ich glaubte im Zug nach Nirgendwo zu sitzen. Dass sich Situationen ergeben können, in denen man Fragen nach dem Sinn stellt, wurde mir bewusst.

Dass es weder um mein Überleben noch um meine Existenzsicherung ging, verdankte ich dem Umstand, rechtlich abgesichert zu sein. Ich war nicht gezwungen, nach Nebeneinkünften zu suchen, und war daher kein Pflegefall, um den man sich mit Nachsicht kümmern musste. Ich steuerte nicht auf eine ungewisse Zukunft zu. Schule und Staat mussten es mir ermöglichen zu unterrichten, in welchen Fächern auch immer. Die Schule intonierte keinen Abschiedswalzer.

Es gab Priester, denen es anders erging. Wer nicht abgesichert war, konnte nach einem Antrag auf Rückversetzung in den Laienstand mit leeren Händen dastehen. Das Zertifikat „Zum Priester geweiht“ erwies sich als Hochrisiko-Papier. Der Weg versandete, wie ein Flussbett austrocknet,  das von der Wasserzufuhr abgeschnitten wurde.

Hätte dem Arbeitgeber Kirche in solchen Fällen nicht eine größere Versöhnungsbereitschaft besser zu Gesicht gestanden als Urteilen und Verurteilen? Die Priester- Ausbildung war darauf angelegt, nicht wieder einen anderen Beruf zu ergreifen. Alternative Entwürfe schlossen sich aus.

Dass mein priesterlicher Weg zwölf Jahre andauern würde; dass ein Tag kommen könnte, ab dem nicht mein Leben war, was ich für mein Leben gehalten hatte – damit hatte ich mich nicht beschäftigt.

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