Die Botschaft hör ich wohl

pendeluhr

Eine gesellschaftlich und innerkirchlich bewegte Zeit ließ mich nicht unberührt. Die nonkonformistische 1968er-Bewegung mit ihren Turbulenzen und Verwerfungen stellte das Land vor Bewährungsproben. Die Regierung wollte Notstandsverordnungen ins Grundgesetz aufnehmen, die es erlaubten, bei inneren oder äußeren Bedrohungen Grundrechte der Bürger einzuschränken.

Aufbruch und Revolte, Proteste und Revolution waren die Folge. Aggressivität und Gewalt als Signale der Hoffnungslosigkeit in jenen Tagen. Im Stuttgarter Neckarstadion gab es Tumulte beim 14. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Studenten stürmten das Podium. Eine Demokratisierung des Kirchentages verlangten sie.

Auch in der Katholischen Kirche gärte es. Es war in der Zeit meiner ersten priesterlichen Dienstjahre. Die päpstliche Enzyklika „Humanae Vitae“, „ausnahmslos geltendes Erfüllungs-Gebot“, provozierte Ratlosigkeit und Proteste. Priester wurden verpflichtet zum Gehorsam und mussten die päpstliche Lehrmeinung vertreten „ohne Zweideutigkeit“ sowie „die Gewissen erhellen und bilden“. Sie hatten „die richtige Sprache für die Vermittlung der Botschaft“ zu finden.

Moralische Grundsätze wurden vorgegeben und standen nicht zur Diskussion. Anweisungen waren „in freudiger Ergebenheit und Unterwerfung“ zu befolgen. Die Amtskirche präsentierte sich als „Lehrmeisterin und Mutter aller Völker.“

In vielen Gesprächen, vor allem im Beichtstuhl, hatte ich das Nein des Vatikans zur Anti-Baby-Pille zu begründen und zu verteidigen.

Ging es nur um das Gewissen der Eheleute? Wer fragte nach meinem Gewissen? Konnte ich glaubhaft für etwas eintreten, das ich als kontrovers betrachtete? Warum sagte man den Menschen nicht etwas, was ihrem Leben dienlich war, statt sie mit neuen Verboten zu konfrontieren?

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Goethe hatte seine Faust-Tragödie nicht für mich verfasst, aber der Satz hallte nach. Ich hatte im Sinn der päpstlichen Enzyklika zu argumentieren, die das erste und das letzte Wort für sich beanspruchte. Mit persönlicher Überzeugung fügte ich mich nicht dem Verhaltensdiktat.

Dagegen empfand ich Sympathie für den deutsch- schweizerischen-Theologen, der sich gegen die päpstliche Diktion wandte und eine Überwindung des römischen Absolutismus in der Kirche einforderte. Nach heftigen Kontroversen mit dem Vatikan entzog man ihm die kirchliche Lehrbefugnis.

Viele Schriften dieses Theologen waren mir bekannt. Nicht mit allen Aussagen stimmte ich überein, aber ich bewunderte seine Gabe, strittige Themen in einer Sprache zu formulieren, die man verstand.

Der Pfarrer, in dessen Diensten ich stand, begegnete meinem Verhalten mit Misstrauen. Er ermahnte mich, meine persönliche Meinung zu den Anweisungen der Enzyklika für mich zu behalten.

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