Beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue.
Persönliche Geschichten aus Ost und West.

Während Berlin „Dreißig Jahre Mauerfall“ feiert, lud der Bundespräsident in der Reihe „Geteilte Geschichte(n)“ zu einem Gespräch ins Schloss Bellevue ein. „Von Erfolgsrezepten in Ost und West“ lautete die Thematik. Die im Fernsehen bekannt gewordenen Köche und Restaurantinhaber Maria Groß und Ali Güngörmüş erzählten ihre Herkunfts- und Erfolgsgeschichten, moderiert vom Radio- und Fernsehmoderator Jörg Thadeusz.

Maria Groß wurde mit 34 Jahren Deutschlands jüngste Sterneköchin. Seit 2015 führt sie in Erfurt das Restaurant „Bachstelze“ unter ihrem Label „Maria Ostzone“.  Erfrischend und unbekümmert erklärte sie, warum die „Ostzone“ bleibend zu ihrer Erfolgsgeschichte gehört. Dort wäre sie daheim, Thüringen hätte sie geprägt. Diese Erfahrungen sollten einen Stammplatz behalten in ihrer und der Deutschen Geschichte.

Ali Güngörmüş, 1976 in der Türkei geboren, zog, als er zehn Jahre alt war, mit seiner Familie nach München. Als bisher einziger, in der Türkei geborener Küchenchef erhielt er einen Michelin-Stern und führt inzwischen in München sein Restaurant „Pageou“. Liebenswürdig und witzig stellte er dar, wie man den geschichtlich geprägten, türkisch-deutschen Beziehungen über den „Kochtopf“ neuen Geschmack verleihen könne.

Es schloss sich eine spannende Aussprache an. Der Bundespräsident wollte mit seiner Gesprächsreihe „Geteilte Geschichte(n)“ einen Rahmen schaffen für persönliche Geschichten aus Ost- und Westdeutschland. Diese sollten der Frage nachgehen, welchen Stellenwert die Zäsur der Jahre 1989 und 1990 in der gemeinsamen deutschen Erinnerung einnimmt. Wichtig wäre, einander zuzuhören und die Situation der Menschen in Ost- und Westdeutschland heute besser zu verstehen. Wir sollten beobachten, was sich veränderte, was die Menschen bewege, wo es Enttäuschungen und wo es neue Hoffnungen gab. Fremde Lebensgeschichten sollten das Verständnis für andere Sichtweisen wecken.

In diesem Zusammenhang konnte ich einen persönlich erlebten Vorgang schildern, der sich tief bei mir eingeprägt hat:

Für mich kam er aus der „Zone“. Ich wusste kaum, wo das war. Etliche Male war ich in die ehemalige Sowjetunion gereist. Nebenan, im anderen Teil Deutschlands, war ich nie. Wenige Wochen vor dem Mauerfall war er in den Westen gekommen, obwohl er an der Uni „drüben“ eine gute Stellung innehatte.

Er war gekommen, weil er mit seiner Bekannten zusammen sein wollte. Bisher hatten sie sich auf der polnischen Seite der „Hohen Tatra“ in den Karpaten treffen können. Er war gekommen, obwohl die DDR seine Heimat war, in der er aufwuchs, in der er Ansehen und Erfolg erworben hatte. Heimat und Mutter, Beruf und Erfolge ließ er zurück.

Ich lernte ihn kennen. Er war klug. Er hatte exzellente Noten. Wissen und Können hängen nicht vom politischen System ab, sondern vom persönlichen Engagement. Er lehrte mich vieles anders und überhaupt zu sehen.

Der Alltag West holte ihn ein. Andere Maßstäbe. Andere Wertordnungen. An Erfolg und Konsum orientiertes und gemessenes Wirtschaftsdenken. Folgen für ihn: Unerfüllt bleibende berufliche Erwartungen. Begrabene Hoffnungen. Keine Chance, sein Potential zu entfalten. Sein Leben schien sich aus einer Ansammlung von Enttäuschungen zusammenzusetzen. Er war Fachmann-Ost. Hier suchten sie den Fachmann-West. Man zeigte sich schwerhörig, wenn er gehört werden wollte. Der Geduldige wurde zum Zuspätkommenden.

Aber er blieb. Kein Arbeitsplatz war ihm zu weit entfernt; oft getrennt von der Bekannten, die inzwischen seine Frau geworden war. Er war in „zehn Jahren West“ kein anderer geworden. Dennoch sollte er „anders“ als bisher leben, denken und handeln. Völlig unerwartet starb er. Bei einer ärztlichen Untersuchung brach er zusammen. Fassungslos alle, die ihn kannten und schätzen gelernt hatten. Mir war er ein Freund geworden. Was hatte er gelitten? Wer hatte wem nicht zugehört? Wer hatte wen nicht verstanden? Er uns? Wir ihn? Welche Mauern waren nicht abgetragen worden?

Die Fragen, die sich nach dieser Ost-West-Geschichte stellen, konnten am Vormittag im Schloss Bellevue nicht hinreichend beantwortet werden. Auch Erfolgsrezepte setzen sich manchmal nur langsam durch. Aber sie machten allen bewusst, dass wir nicht nur „Dreißig Jahre Mauerfall“ feiern, sondern noch Antworten auf viele Fragen geben müssen.

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