Das Aschenkreuz.
Am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei

Zum ersten Mal zeichnete ich jemandem am Aschermittwoch mit Asche ein Kreuz auf die Stirn. Mein Dienst in der Pfarre hatte vor einigen Monaten begonnen. Ich musste mich mit diversen Aktivitäten vertraut machen, auch mit der Erteilung des Aschenkreuzes.

Zunächst verlief alles nach Plan. Kinder und Erwachsene standen oder knieten vor mir und empfingen als Zeichen ihrer Vergänglichkeit ein Kreuz auf der Stirn. So erklärt die Katholische Kirche diesen Ritus. „Altes muss vergehen, damit Neues entstehen kann.“ Der Karneval ist vorbei; es geht auf Ostern zu.

Traditionell verwendet man Asche von verbrannten Palmzweigen des Vorjahres. Bei einem Vorgespräch hatten wir jedoch entschieden, Masken und Luftschlangen zu Asche werden zu lassen und diese beim Aschenkreuz zu nutzen. „Am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei.“  Der Zustand von Welt und Mensch lässt zu wünschen übrig. Es bleibt einiges zu tun.

Aus dem Bistum Freiburg wurde gemeldet, dass einige nach dem Empfang des Aschenkreuzes über Verätzungen klagten. Die Asche war mit Wasser vermischt worden. Das Bistum reagierte und verbot die Bewässerung. Die Zeiten, in denen man ein Bußgewand anlegen musste, bevor man mit Asche bestreut wurde, sind vorbei. Das Asche-Symbol ist geblieben.

Eine Ordensschwester kniete vor mir, Kopf und Gesicht überwiegend verhüllt mit dem Ordenshabit. Nur Augen, Nase und Mundpartie waren unbedeckt. Wo das Aschenkreuz anbringen? Ich startete einen Versuch Richtung linke Wange. Abwehrendes Handzeichen. Das wiederholte sich, als ich auf der rechten Wange das Kreuz anbringen wollte. Aus meiner anfänglichen Euphorie wurde Ernüchterung. Ich war ratlos. Sollte ich fragen: „Wo hätten Sie es gern?“„Würden Sie bitte die Haube abnehmen oder die Schutzfolie entfernen?“ Ein Restwiderstand hielt mich davon zurück. Man darf nicht aus jedem Rahmen ausbrechen. Betreten verboten.

Meine spontanen Überlegungen, wie die Festung zu stürmen war, konnte ich nicht der Phantasie überlassen. Die Ordensfrau blieb stumm, nicht nur wortkarg. Paradies mit Verschlossenheitsgarantie. Ich blickte in ein leeres Gesicht. Kein Gedröhn der Welt hätte das zu ändern vermocht.

Im heutigen technisierten Zeitalter lassen sich Gefühlsregungen oder Abwehr und Zuwendung mit bunten Emojis ausdrücken. Das beschriebene Ereignis fand vor diesem Zeitalter statt.

Dann bot sie überraschend Hilfestellung an. Mit der rechten Hand wies sie nach oben. Wo war oben? Spielraum für Interpretation. Ich suchte Blick-Kontakt mit ihr. Vergeblich. Ihre Augen blieben demutsvoll nach unten gerichtet. Sie zeigte nicht ihr wahres Gesicht.

Da die Zeichensprache nicht zum erhofften Ergebnis führte, sie auf dem Aschenkreuz aber offenbar bestand, streckte sie einen Arm in die Höhe und wies mit der Hand auf eine Stelle hin, wo sich unter der Haube vermutlich das Kopfhaar befand, versteckt wie Juwelen in einer Vitrine. Ich schloss aus ihrem unverfänglichen Hinweis, dass sich in jener Gegend die angemessene Stelle für das Zeichen Ihrer Bußfertigkeit befand.

Ob es sich so verhielt, wusste sie allein. Ob sich ihre Mienen aufhellten, als das Kreuz nach Vorschrift angekommen war, verbarg der Schleier. Mit Sympathie-Signalen war nicht zu rechnen. Über Gedankengänge einer Ordensfrau weiß selbst der liebe Gott nicht Bescheid, wird behauptet.

In der Gemeinde sprach sich der Vorgang als schlagzeilenträchtige Neuigkeit herum, statt den Mantel taktvollen Schweigens darüber auszubreiten. Der Trottel hätte sich kundig machen sollen, hieß es. Er hätte wissen müssen, wie unter nicht vorhersehbaren Umständen zwischenmenschliche Beziehungen geknüpft werden. Mit dem Makel musste ich leben.Der Aschermittwoch hatte vierundzwanzig Stunden, eine endlos lange Zeitspanne. Danach blieb mir ein Jahr Zeit zum Üben.

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2 Kommentare zu "Das Aschenkreuz.
Am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei"

  1. Peter Josef Dickers | 10. März 2019 um 15:59 |

    Oben auf der Kopf-Bedeckung musste das Aschenkreuz angebracht werden, Herr Korten. Ob und welche „Tiefenwirkung“ es dennoch hatte, blieb mir verborgen. Glaube versetzt nicht nur Berge, sondern durchdringt Hindernisse jeder Art.

  2. Achim Korten | 10. März 2019 um 15:48 |

    Trotz mehrmaligen Lesens dieser durchaus amüsanten Geschichte habe ich noch immer nicht begriffen: wo wurde das Aschenkreuz „angebracht“?
    Aufklärung tut Not.

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