Die Reise der Pinguine

Grandiose Eisberge hatte ich bei einer Antarktis-Kreuzfahrt gesehen. Auch Pinguine waren mir vertraut. Jetzt bewunderte ich Eisberge und Pinguine im Film. Kein Film über die Antarktis, sondern ein Film darüber, wie sie lebt und wie die Kaiserpinguine mit diesem Leben zurechtkommen. Sie brüten im Winter an den Küsten der Antarktis.

Auch Lena wollte die Pinguine sehen. Vieles wusste sie über deren Leben. Jetzt wollte sie mehr erfahren über ihr Verhalten, über die Geburt und Versorgung ihrer Jungen. Ihr Interesse wurde belohnt.

Zum Greifen nah erscheint auf der Leinwand ein lebensfeindlich anmutender Kontinent. Am Horizont taucht ein langer Zug undeutlich erkennbarer Gestalten auf, wie in einer Prozession – die Reise der Pinguine in ihr Winterquartier. Kilometer lang. Manchmal gleiten sie auf dem Bauch rutschend über das Eis, ihre Flügel wie Brustflossen benutzend. Sie stützen sich auf ihren Schnabel oder benutzen ihn wie einen Krückstock, um sich wieder aufzurichten. Ihre Schritte knirschen auf dem tief gefrorenen Untergrund.
Die Kamera schwenkt an der endlos erscheinenden Kolonne vorbei zu einem Versammlungsplatz der Pinguine. Viele tausend Vögel sind an ihrem Brutplatz eingetroffen. „Wie finden sie den Weg dahin?“ raunte Lena mir zu. „Man nimmt an, dass sie sich an Sonnenstand und Sternenhimmel orientieren“, raunte ich zurück.
Berührend schön und behutsam fängt die Kamera die Paarbildung und das Balzritual ein. Die Partner stehen sich mit gebeugten Köpfen gegenüber. Sie verständigen sich durch verschiedene Bewegungen, mit für uns merkwürdig klingenden Stöhn- und Schnarrtönen, mit Quietsch- und Trompetenlauten. Lena war fasziniert. Pinguine brauchen nicht wie sie Englisch und Latein zu lernen, um sich verständigen zu können. Hin und wieder schubste sie mich an. „Süß!“
Schneetreiben kündigt den nahen Winter an. Ein Weibchen legt das erste Ei. Spannend zu sehen, wie das Männchen das 500 Gramm schwere Ei mit Hilfe des Schnabels auf seine Füße hievt. In einer Bauchfalte wird es von ihm ausgebrütet. Kaiserpinguine brauchen kein Nest. Es gibt kein Nistmaterial. Aber auch das wird gezeigt: Ein noch unerfahrenes Paar verliert das Ei. Es gefriert in Kürze und zerspringt. Natur ist nicht heile Welt. Lena wurde ganz still.
Der Winter tobt mit tosenden Stürmen über die Leinwand. Dicht gedrängt stehen die Vögel. Sie rotieren, jeder sein Ei auf den Füßen, vom Rand ins Zentrum des Pulks, dann wieder hinaus an den Rand. Das Heulen des Sturms verschluckt ihre Schreie.  Die Weibchen haben inzwischen den Brutplatz verlassen. Sie müssen im Meer ihre Fettreserven auffüllen und dazu mehrere hundert Kilometer zurücklegen. Wenn zwei Monate später ihr Küken schlüpft, werden sie zurückerwartet mit der ersten Mahlzeit für das Neugeborene.

Lena wirkte erleichtert. Die Vögel schießen im Meer wie Torpedos dahin, tauchen wieder aus einer Lagune auf. Sie fressen Krill, jagen Sardinen und Tintenfische. Bis zu zehn Kilogramm fressen sie bei einem Beutezug. Die Verdauung können sie unterbrechen, um zur Fütterung ihrer Jungen unverdaute Nahrung im Magen zurück zu behalten.

Plötzlich füllt der rote Rachen einer Robbe die Leinwand aus. Ein Pinguin-Weibchen wird nicht mehr zu ihrem Küken zurückkehren. Lena später: „Es war schrecklich, sehen zu müssen, wie der Pinguin von einer Robbe angegriffen wurde.“ Sofort versuchte sie, ihre Erfahrung zu verarbeiten: „So ist es leider in der Tierwelt.“

Die Kamera schwenkt zurück zum Brutplatz. In einem schwarzen Ei zeigt sich eine weiße Öffnung. Man hört ein leises Tschilpen. Ein Junges schlüpft. Mehr als zwei Monate lang stehen die männlichen Tiere ohne Nahrung auf dem Eis. Mit einem letzten Sekret aus ihrem Schnabel sichern sie kurzfristig das Überleben des Kükens. Wenn die Weibchen nicht bald eintreffen, werden auch sie sich zum Meer aufmachen. Die junge Brut würde sterben. Auch meine Begleiterin spürte die Dramatik. „Manchmal kann man die Pinguine beneiden, da sie drei Monate lang ohne Nahrung auskommen.“ Im Kinoraum raschelten Bonbon-Tüten. Lange Strohhalme steckten in Cola-Dosen.

Dann tauchen die Weibchen auf. Pinguine haben ein gutes Gedächtnis. Sie finden aus Kilometer weiten Entfernungen den Weg zurück nach Hause. Nicht nur Lena staunte. Wenn sich ein Pinguinpärchen nach langer Abwesenheit wieder trifft, begrüßen sich beide mit einem Ritual aus Bewegungen und Geräuschen. Jeder erkennt seinen Partner in einer Kolonie von mehreren tausend Tieren wieder „Mein Papa würde mich auch wieder finden“, flüsterte jemand neben mir.
Lena ist in guten Händen, geschützt vor Sturmvögeln. Ihre Reise ins Leben hat sie noch vor sich. Hoffentlich wird diese weniger beschwerlich als die Reise der Pinguine.

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