Käme doch der Engel zurück – zum 2. Advent-Sonntag

Gestern war der Engel da. Ich habe mir nicht bewusst gemacht, was geschehen ist. Zu plötzlich kam alles für mich. Schwanger werden soll ich, ein Kind bekommen. Spontan habe ich Ja gesagt. Wahrscheinlich war ich zu überrascht, um mir Gedanken zu machen. Heute sehe ich klarer. Woher wusste der Engel das? Wer hatte ihn geschickt? Fragte er mich, ob ich das wirklich will?

Ein Kind zu bekommen, ist nichts Ungewöhnliches. In meiner Situation aber doch. Ich bin jung, ohne abgeschlossene Ausbildung. Ich wohne noch bei meinen Eltern. Soll ich meine Freundin um Rat bitten? Sie hat Kinder und weiß, wovon sie spricht. Kürzlich hat sie an einem Workshop über Lebenskraft und Energie des Menschen, vor allem der Frau, teilgenommen. Sie weiß Bescheid. Das Mädchen Maria warf einen Blick in die Tageszeitung. „Gestresste Väter, gestresste Mütter“ prangte eine Überschrift in dicken Buchstaben auf der ersten Seite. „Ein Kind verändert Ihr Leben. Die Beziehung leidet. Die romantische Beziehung zu zweit können Sie vergessen.“

Warum stand das nicht in der Zeitung, ehe der Engel kam? Maria wollte nicht weiterlesen, tat es aber doch. „Das Leben ist anstrengend genug. Was soll erst werden, wenn man sich in  unsicheren Zeiten zusätzlich um ein Kind kümmern muss? Wie soll eine Beziehung zum Kind entstehen, wenn man keine Zeit hat?“ Einen Augenblick lang verschlug es ihr die Sprache. Beruf und Familie, Beruf und Karriere – das zusammen geht nicht. Das stand da. Haushalt, Job und Kinder – das geht erst recht nicht. Burnout die Folge. Zu wenige Kindertagesplätze, zu wenig Ganztagsschulen. Von der Geburt bis zur Volljährigkeit Hunderttausend Euro Durchschnittskosten. Überforderte Mütter, gestresste Väter.

Käme doch der Engel zurück, damit ich ihn noch einmal fragen kann, dachte Maria. Habe ich ihm gesagt, dass ich nicht den Vater kenne? Alleinerziehende werde ich sein. Zum Schein einen Mann heiraten, der die Vaterschaft für mein Kind übernimmt, will ich nicht. Dann bleibe ich lieber allein mit dem Kind.

Aber welches Recht haben andere, über mein Leben zu bestimmen? Muss es so perfekt sein, wie behauptet wird? Warum soll ich in Panik geraten und schlaflose Nächte haben? Ich soll keine Angst haben, hat der Engel gesagt. Ja, habe ich ihm geantwortet.

(aus: Peter Josef Dickers, Du lieber Himmel – Nicht ganz alltägliche Geschichten)

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