Umzug ins Altenheim

Lange hatten sie es hinaus geschoben. Sie hingen an ihrem Häuschen. Sechzig Jahre lang war es ihr Zuhause gewesen. Seit mehr als zehn Jahren lebten sie allein darin, weil die Kinder geheiratet hatten und ausgezogen waren. Jetzt wollten sie in die Zweizimmerwohnung im nahe gelegenen Altenstift umziehen.

Die Entscheidung war ihnen nicht leicht gefallen. Vielleicht war es nicht ihre Entscheidung, sondern die ihrer Kinder. Was wollt ihr mit dem großen Haus? Ihr müsst renovieren. Wer versorgt euch, wenn ihr nicht mehr könnt?

Nur den Schrank im Schlafzimmer konnten sie mitnehmen. Darin würden sie Etliches in der neuen Wohnung unterbringen können. Vier große Türen hatte er, alle einzeln abschließbar – beruhigend für sie demnächst in der neuen, fremden Wohnung.

Der große Flur auf der ersten Etage glich einem Warenlager. Sohn und Schwiegertochter hatten ganze Arbeit geleistet. Allen alten Krempel hatten sie ausgemistet. Was hatten die Eltern nicht alles aufbewahrt: Alte Klamotten und altes Geschirr, Vorhänge und Tischtücher, kitschige Schlafzimmerbilder und Weihnachtsdekoration. Unglaublich.

Oma tat es in der Seele weh, als sie die große Tragetasche auf dem Krempelberg liegen sah. Die war so praktisch gewesen, wenn sie einkaufen ging. Als sie in der Nacht wach wurde, schlich sie in den Pantoffeln auf den Flur. Hoffentlich wurde niemand wach. Schnell entdeckte sie die geliebte Tasche und ging hastig zu dem großen Schrank mit den vier Türen. Die Tasche war gerettet. Hinter der ersten Tür links wollte sie in der neuen Wohnung ihre privaten Habseligkeiten unterbringen. Sie nahm den Schlüssel an sich und ging wieder ins Bett.

Opa war natürlich wach geworden. Als er neben sich ruhige Atemzüge hörte, stand er leise auf. In seinem Werkzeugkasten fehlten nur ein paar Schraubenziehen. Warum sollte er den hier lassen? Für den Müll war der zu schade. Die rechte Schranktür hatte er vor einigen Tagen für sich beansprucht. Dahinter verschwanden seine Werkzeuge. Gut, dass er sie gerettet hatte.

An Schlaf war kaum zu denken in dieser Nacht. Sobald der Eine im Bett war, schlich die Andere in die Diele und rettete, was zu retten war: Die schöne alte Hutschachtel. Die bunten Sammeltassen. Der lange warme Wollrock. Das Kostüm mit den Schleifen und Rüschen. Die Nacht war viel zu kurz. Vier Schranktüren wunderten sich, welche Schätze hinter ihnen verschwanden.

Als am nächsten Morgen die Möbelpacker kamen, um den Schrank aufzuladen, waren die Schlüssel nicht auffindbar. Der Transport die Treppe hinunter erwies sich als schwierig. Sohn und Schwiegertochter zeigten sich ratlos. Oma und Opa beobachteten mit Argusaugen, ob alles seinen Weg ins Freie fand. Dankbar waren sie, dass niemand etwas mitbekommen hatte von dem, was in der Nacht geschehen war.

Der Umzug fiel ihnen jetzt viel leichter.

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