Verbotene Bücher

„Kraft päpstlicher Vollmacht“ erteilte mir das Erzbischöfliche Generalvikariat „die Erlaubnis zur Aufbewahrung und Lektüre verbotener Bücher und Schriften“, allerdings mit der Einschränkung: „soweit diese ihrer Richtung und ihrem überwiegenden Inhalt nach nicht als obszön zu bezeichnen sind“. Vorsorglich wurde ich „im Gewissen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass solche Bücher nicht in die Hände Unbefugter gelangen.“

Es gab den „Index Librorum Prohibitorum“ der römischen Inquisitionsbehörde – ein Verzeichnis von etwa sechstausend Titeln. Darin waren Schriften und Namen von Autoren aufgeführt, die als ketzerisch galten, weil sie sich mit der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche nicht vereinbaren ließen. Katholiken durften sie unter Androhung der Exkommunikation nicht lesen. Keine „freiwillige Selbstkontrolle“.

Die „Kritik der reinen Vernunft“ Immanuel Kants und die Werke Voltaires zählten dazu. Auch „Bonjour Tristesse“, Erfolgsroman der unter ihrem Pseudonym schreibenden Schriftstellerin Françoise Sagan, stand auf der Verbotsliste. Die geschilderte dramatische Liebesbeziehung hätte ich nicht lesen dürfen – hatte ich aber schon gelesen, ehe ich vom kirchlichen Verbot erfuhr.

„Zur Verteidigung des Glaubens und zur Widerlegung der in ihnen enthaltenen Irrtümer“ durfte ich Verbots-Literatur einsehen.

Die Bücherfreiheit wurde nicht ohne Einschränkungen gewährt. Ergänzend hieß es, die Erlaubnis befreie mich nicht vom Verbot, Bücher zu lesen, die als nächste Gelegenheit zur Sünde dienten. Welche Sünden das waren, wurde nicht aufgelistet.

Hatte ich die Wahl zwischen großen und kleinen Übeln? Gab es verbotene Bücher, die ein geringes Übel darstellten? Vor welchen verderblichen Einflüssen sollte ich geschützt werden? Die Liebesgeschichten von Alexandre Dumas, dem Älteren, und von Dumas, dem Jüngeren, standen auf dem Index. In dessen Roman „Kameliendame“ geht es um Verherrlichung und Rehabilitierung des Lasters – moralisch bedenklich; ein großes Übel. Auch vor der „Kunst Wollust zu empfinden“ des französischen Arztes und Philosophen La Mettrie wurde ich gewarnt. Ich sollte nicht der List und Lust schöner Frauen erliegen.

Lust war eine sündhafte Leidenschaft. Man durfte ihr nicht freien Lauf lassen. Die Sprache des Körpers war Fremdsprache. Vor trügerischen Leidenschaften und leiblichen Begierden standen Verbotsschilder.

„Durch eifriges religiöses Leben und die Benutzung guter Bücher mögen Sie sich bewahren vor schädlichen Einflüssen.“ Diese Mahnung wurde mit auf den Weg gegeben. Es gab vermutlich eine Menge Trost-Literatur, die mir helfen würde, Versuchungen auszuweichen oder sich gegen sie zu wappnen – eine vergleichsweise milde Mahnung, wenn man bedenkt, dass in der Volksrepublik China während der Kulturrevolution das Lesen verbotener Bücher mit der Hinrichtung bestraft werden konnte.

Der Index wurde 1966 abgeschafft. Jeder durfte fortan ungestraft lesen und sündigen. Schadensabwehr kann man von nun an selbst leisten. Ob man aus Schaden klug wird; ob es Schäden gibt, aus denen man sogar Vorteile gewinnen kann, muss man abwägen. Denkbar ist, dass erlittener Schaden das Gemeinschaftsgefühl stärkt. „Wer im Schaden schwimmt, hat es gern, wenn andere mit ihm baden“, sagt zumindest der Volksmund.

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