Vernehmung

pendeluhr

Ich wurde vernommen. Hin und wieder sah ich mich Röntgenblicken ausgeliefert, obwohl ich von der Fairness meines Gesprächspartners überzeugt war. Das Sittengemälde, das entstehen sollte, erwartete Antworten auf dutzende, freundlich-herablassend gestellte Fragen:

Haben Sie zu den Familienverhältnissen, in denen Sie aufgewachsen sind, zu Ihrer Kindheit und Jugendzeit, einschließlich Ihrer Schulzeit, bis zur Erlangung der Reifeprüfung, Besonderes zu bemerken?

Seit wann, wie, aus welchem Grund entwickelte sich in Ihnen der Gedanke, Priester zu werden?

Hatten Sie zeitweise an eine andere Berufswahl gedacht? Wenn ja, aus welchen Gründen? Welche Berufe standen Ihnen vor Augen?

Sind Sie in Ihrem Entschluss zum Theologiestudium und zum Priestertum von anderen beeinflusst, gedrängt, gezwungen worden?

Welchen Einfluss hatte auf Ihre Berufswahl Ihre Umwelt: Eltern, Geschwister, Lehrer, Verwandte, Bekannte?

Welche erheblichen Gründe glauben Sie bei Ihrer Berufswahl nicht berücksichtigt zu haben?

Wie können Sie Ihre heutige diesbezügliche Auffassung näher erläutern und begründen?

Wie stand es mit Ihrem persönlichen religiös-aszetischen Leben: Sakramenten-Empfang, Gebet, Betrachtung, Mitmachen der vorgeschriebenen religiösen Übungen? Welches innere Verhältnis gewannen Sie hierzu?

Haben Sie die Ihnen zuteil gewordenen liturgischen Dienste – Teilnahme am Chorgebet, Altardienst – gerne und mit innerer Teilnahme erfüllt?

Wie stand es mit Ihrer seelisch-geistigen Reife in geschlechtlicher Hinsicht?

Welch inneres Verhältnis hatten Sie zum Zölibat als der von Ihnen mit den höheren Weihen zu übernehmenden Lebensform gewonnen? In welchem Verhältnis standen Sie zur Frauenwelt?

Eine intensive Fragestunde. Seit wann? Wie? Aus welchen Gründen? Welche? Von wann bis wann? Wo? Von wem? Hatten Sie? Waren Sie?

Ein Hindernislauf. Schau mir in die Augen, wurde  signalisiert. Der Prälat tat seine Pflicht, schien sich aber nicht unbedingt wohl zu fühlen. Um die Situation aufzulockern, bot er mir zwischendurch eine Tasse Kaffee an.

Zum „Confiteor – Ich bekenne“ war ich nicht erschienen. Zu Sündenbekenntnis, Reue und Umkehr ebenfalls nicht. Strategien für meine Verteidigung bzw. ein Krisenmanagement hatte ich nicht entworfen, da ich sie nicht für notwendig hielt.

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