Wo sind meine Fische?

„Paparazzo“-Skulptur in Bratislava. Foto: Dickers

Mein Gartenteich ist ein kleines Paradies. Er ist nicht übermäßig groß, aber es wird auch nirgendwo beschrieben, wie groß das andere Paradies war. Dass Teichbesitzern die Algenpest ein Dorn im Auge ist oder dass ihnen zu üppiges Ausbreiten von Algen und Wasserpflanzen Kummer bereitet, verstehe ich nicht. Vielleicht ist mein Teich zu klein für Hiobsbotschaften.
Gartenteiche könnten umkippen, erzählte ein Nachbar. Als er mein verdutztes Gesicht bemerkte und meine Gedanken erriet, die sich einen auf dem Kopf stehenden Teich nicht vorstellen konnten, klärte er mich auf: Faulgase würden das Leben im Teich zerstören. Bei meinem Teich hätte ich das bisher nicht festgestellt, sagte ich. Ich müsse mich mit Teich-Problemen vertraut machen, riet er mir dennoch. Ich würde es tun, wenn welche auftreten sollten, sicherte ich ihm zu. Dann sei es zu spät, warnte er mich. Gegenargumente fielen mir nicht ein. Ich hoffte, dass sich mögliche Probleme früh genug bemerkbar machen würden.
Jetzt habe ich ein Problem. Wo sind die Fische, die sich bis vor ein paar Tagen im Teich wohlfühlten und auf mich zuschwammen, wenn sie mich sahen? Keine Edel-Fische. Keine preisgekrönten, asiatischen Zuchtexemplare. Fische dienen nicht meiner Wohlstands-Vermehrung. Ich unterschied sie nicht nach ihrer Gattung, sondern nach ihrer Farbe und Größe. Jetzt sind die meisten nicht mehr da. Manchmal sehe ich einen. Zählen lohnt nicht.Winterschlaf-Zeit ist nicht. Verschenkt habe ich keinen. An Land gegangen ist keiner. Wo sind meine Fische?
Der Nachbar ist nicht überrascht, dass ich ein Fisch-Problem habe. Er habe mich gewarnt, stellt er fest. Es habe sich um Pflanzen gehandelt, verteidige ich mich. Am Gartenteich gebe es viele Probleme, werde ich belehrt. Algen und Pflanzen; Fische und Frösche und andere Tiere seien wie eine große Teich-Familie. Keine Familie ohne Probleme. Jetzt seien die Fische das Problem. Ein Gartenteich-Problem.
Wo meine Fische sein könnten, frage ich noch einmal. Der Gartenteich-Nachbar zuckt mit den Schultern. Er räuspert sich. Es sei nichts Außergewöhnliches, wenn ein Gartenteich leer gefressen werde. Wer als Täter in Betracht komme, der so viel Fisch-Appetit hat, sagt er nicht. Es kämen viele Täter in Frage, die früh am Morgen auf Fischjagd gehen und Teiche plündern: fliegende Täter, vierbeinige Täter. Das müsse ich verhindern, wenn mir Fische im Teich lieb und teuer seien. Von zweibeinigen Tätern könne man absehen, ergänzt er, da sich Teichfische in der Regel nicht zum Grillen eignen.
Soll ich mein Bett am Gartenteich aufstellen und zu früher Morgenstunde den Wecker klingeln lassen, um Fisch-hungrige Intensivtäter auf frischer Tat ertappen zu können? Mein Nachbar überhört meine Frage. Erst nachdem ich sie wiederholte, lässt er sich eine Antwort entlocken. Er selbst habe keinen Gartenteich. Daher wisse er nichts über das Fluchtverhalten von Teichfischen. Auch habe er sich keine Gedanken darüber gemacht, welche Freunde der Nacht oder des frühen Morgens in unserer Gegend bzw. Nachbarschaft auf Fischjagd gehen könnten. Andererseits dürfe ich mich nicht den Zumutungen der Realität entziehen, da Fische sich nicht wehren und nicht jedem Feind entkommen könnten.
Der Nachbar ist keine Hilfe für mich. Die Welt besteht aus Einzelkämpfern; das bewahrheitet sich wieder. „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.“ Ich muss mich an das bekannte Sprichwort klammern und die Initiative ergreifen. Das Verschwinden meiner Fische werde ich nicht als unvermeidbares Schicksal hinnehmen. Ein Schild bringe ich an: „Fische abhanden gekommen. Wiederbeschaffer erhält Belohnung.“ Ich will nicht in der Erinnerung an sie leben und weigere mich, mir vorzustellen, sie könnten gefressen worden oder auf dem Grillteller gelandet sein. Ich muss keine Feindbilder produzieren.
Im Paradies herrschen Eintracht und Frieden. Der Nachbar hat dazu keine Meinung. Er hat keinen Gartenteich.

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2 Kommentare zu "Wo sind meine Fische?"

  1. Peter Josef Dickers | 9. Februar 2016 um 09:48 |

    Eine dankenswerte Empfehlung, die ich beherzigen werde. Aber vielleicht ist mein Teich so tief, dass die verbliebenen Bewohner nicht mehr den Weg an die Oberfläche zurück finden.

  2. Wir hatten jahrelang Goldfische und auch einen Koi.
    Wenn ein Teich tief genug ist, „tauchen sie auch mal ab“ im Winter.
    Im Frühjahr wurde mit der Futterbüchse auf das Brückenholz geklopft,
    -das kannten die- und kamen alle wieder angeschwommen

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