Konfliktpotential

pendeluhr

„Was ist das für eine Kirche, in deren Dienst ich stehe?“ fragte ich mich. Mehr Verzicht auf Dominanz hätte ihr gut getan. Die Kirche, vor allem wir Priester, sollen den Menschen Hilfen anbieten, statt sie zu reglementieren und zu verurteilen. Das formulierte ich so, dass es gehört wurde. Nicht immer erntete ich freundliche Zustimmung.

In der Pfarrei und in meinem Freundeskreis traten Leute aus der Kirche aus. Darin sah ich keine Lösung. Wenn kritische Menschen die Kirche verließen, dann überließen sie diese Kirche den unkritischen Ja-Sagern, den unkritisch Loyalen. Kontroversen mussten anders ausgetragen werden.

Wolken zogen an meinem Priester-Himmel auf. Zweifel an meinem Selbstverständnis nährten die Frage, ob der Ort meiner Sehnsüchte ausschließlich das Priesteramt in der Kirche sei. Welche Alternativen hatte ich? Keine.

Ich musste mir den Vorwurf gefallen lassen, vom Geist bzw. Ungeist des „Politischen Nachtgebetes“ infiziert zu sein.

Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hatte es ins Leben gerufen. Sie thematisierte u. a. den Vietnam-Krieg, die Problematik der Obdachlosigkeit und Konflikte um die Dritte Welt. In ihren Texten rief sie zum Widerstand auf gegen eine Kultur des Gehorsams und gegen Formen des Patriarchats. Sie berief sich auf Erfahrungen in mittel- und latein-amerikanischen Gemeinden. Ermutigt sah sie sich durch die Freundschaft mit Nicaraguas Kulturminister Ernesto Cardenal. Dessen Leben als Priester, Dichter und Revolutionär imponierte ihr.

Der Erzbischof, der mich zum Priester geweiht hatte, untersagte dem Politischen Nachtgebet Gottesdienst-Veranstaltungen in katholischen Kirchen. Das hinderte mich nicht daran, an anderer Stelle einmal daran teilzunehmen.

Der Faszination, die das Nachtgebet auf mich ausübte, konnte ich mich nicht entziehen. Ich war jedoch enttäuscht von diesen Gottesdienst-Angeboten, bei denen sich problemorientiert Text an Text reihte. Auf einige Texte griff ich zurück, wenn ich im Gottesdienst der Pfarre tätig war. Da mich der Pfarrer in der Regel gewähren ließ, lebten diese Messfeiern von kreativen Elementen, die ich zusammen mit einem Kreis liturgisch Interessierter vorbereitete.

Trotz meiner Experimentierfreudigkeit sah ich mich nicht auf dem Weg zum „Heilsarmee-Gottesdienst“, wie ein Kritiker unterstellte. Ich war dankbar für das positive Echo aus der Gemeinde: „Man spürt das Engagement des Priesters und nimmt dankbar zur Kenntnis, welche Vorbereitungen in der Woche getroffen wurden, um einen in Gebeten, Lesungen und Predigt abgestimmten eucharistischen Gottesdienst zu halten. Sie werden die mit gleichem Engagement mitfeiernde Gemeinde als beste positive Antwort auf Ihre Mühe erlebt haben.“

Symptomatisch für den Umbruch schien zudem das schwindende Interesse an der Fronleichnams- Prozession zu sein. Im Pfarrgemeinderat wurden Überlegungen und Vorschläge für eine Neugestaltung der Prozession aufgegriffen und neue Ausdrucksformen einer Eucharistie-Verehrung debattiert. Menschen wollen das, was sie glauben, nicht nur mit dem Verstand begreifen, sondern mit ihren Sinnen erleben und begreifen. Wallfahrten sind ein Beispiel für dieses Begehren.

Demonstrationen schienen in die Zeit zu passen. Ob sich die Monstranz, die durch die Straßen getragen wurde, als Demonstrationsobjekt eignete, darüber konnte man geteilter Meinung sein. Die Prozession müsse dem Strukturwandel Rechnung tragen, hatte ein „führender Geistlicher“ angeregt und sich gegen einen Umzug „nach alter Väter Sitte“ gewandt. Ich war nicht dieser Geistliche. Der Pfarrer zeigte sich dennoch verstimmt, weil auch ich  für eine Neugestaltung der Prozession plädiert hatte.

Wolken, die sich zusammenballten, und Winde, die mir ins Gesicht bliesen, wurden durch angenehme Erfahrungen vertrieben oder nicht von mir wahrgenommen. Der Himmel zeigte sich nicht durchgehend in strahlend-hellem Blau. Aber das war auch beim Wetter schlechthin nicht der Fall.

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