Eine andere Welt

Eine Ferien-Geschichte
„Wir kommen in eine andere Welt“, klärt uns der Reiseleiter auf. Ist die Ankündigung mit der Warnung verbunden, dass besondere Risiken uns erwarten? Die andere Welt ist ein paar Fluss-Kilometer von unserem momentanen Standort auf dem Donau-Schiff entfernt. Die Rede ist von Mohács,  eine Zollstation, an der das Schiff den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union verlässt und von Ungarn aus serbisches Hoheitsgebiet ansteuert. Europa ist noch nicht überall angekommen.

Die Reisenden werden aufgefordert, eine Zolldeklaration zu unterschreiben und zu bestätigen, nur eine begrenzte Menge an Alkohol, Zigaretten und Bargeld mitzuführen. Der spannungsvolle Moment, dass streng dreinblickende, uniformierte Zollbeamte eines nahen und anscheinend doch so fernen Landes  das Schiff betreten, lässt auf sich warten. Man hat Zeit. Die Reisenden haben keine Eile, weil sie das Schiff nicht verlassen dürfen. Die Zöllner nehmen sich ausführlich Zeit, um ihr Verantwortungs-Bewusstsein für die ihnen verordnete Tätigkeit angemessen vorbereiten und unter Beweis stellen zu können.

Irgendwann sind sie da. Der Reiseleiter ruft zur Gesichtskontrolle auf. „Ein Lächeln hilft.“ Seine Empfehlung. „Zum wichtigsten Reisegepäck gehört ein fröhliches Herz“, hat Hermann Reisenden als Rat mit auf den Weg gegeben. Wahrscheinlich wusste er, dass keine noch so gut organisierte Zollkontrolle das Innere des Herzens unter die Lupe nehmen kann.

Die Mitglieder der Crew werden als Erste aufgerufen und müssen sich dem prüfenden Zoll-Blick stellen. Dieser hat die wahre Identität jeder Person festzustellen. Vielleicht ist in einer Migranten-schwangeren Zeit jemand darunter, der nicht zum deklarierten Küchenpersonal zählt, sondern soeben aus einem noch ferneren Land geflohen ist und das Schiff als trojanisches Pferd benutzt. Manche Identitätslose möchten vielleicht ihr Überleben in einem Land sichern, das Kontrollen solcher Art für lebensfremd bzw. lebensfeindlich hält.

Die Kabinen-Nummern 100 bis 110 werden aufgerufen. Ich bin dabei und lächele meinem Identitäts-Prüfer freundlich entgegen. Kein Dauerlächel-Gesicht. Der Prüfende vergleicht die Gesichtszüge meines in die Jahre gekommenen Konterfeis im Reisepass mit meiner aktuellen Physiognomie und stellt Übereinstimmungen fest. Kein abschätziger Blick trifft mich. Er lässt mich wortlos von dannen ziehen. Glück gehabt.

Der Dame, die sich bereits schlafen gelegt hatte, fehlt jenes Quäntchen Glück. Laut protestierend muss sie vor den gnadenlosen Augen des Gesetzes eines, wie sie laut hinausposaunt, Landes mit Steinzeit-Regeln antreten. Sie erscheint im Pyjama, da sie sich nicht die Zeit nahm, sich im ordnungsgemäßen Outfit vorzustellen. Jetzt hat sie dennoch Glück. Nicht ihr Nachtgewand wird kontrolliert, sondern ihr von Zorn errötetes Gesicht.

Nach einer Stunde ist das allseits befürchtete, insgesamt harmlos verlaufene Spießrutenlaufen vorbei. Der überwiegende Teil der Reisenden hat positiv zur Kenntnis genommen, dass Formalitäten dazu da sind, ihnen auch dann zuzustimmen, wenn man sie unter der Kategorie Kontrollwut einordnet und ihnen die Daseinsberechtigung abspricht. Das Leben gerät deswegen nicht aus dem Lot. In der Regel sind die Kontrollierenden Kleinstdarsteller, ohne persönliche Entscheidungsvollmacht. Nicht jede lästige Verpflichtung lässt sich abschütteln. Nach Schlupflöchern suchen und Anordnungen umgehen, lohnt meistens nicht.

„Die Bürokratie ist ein gigantischer Mechanismus, der von Zwergen bedient wird.“ H. De Balzac soll das gesagt haben. Trösten wir uns damit.

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