Als die Welt in Ordnung war

pendeluhr

Die Nachbarschaft in unserer Straße hatte der Dorf-Gemeinschaft mitgeteilt: „Um diesem seltenen Fest einen würdigen Rahmen zu geben, würden wir uns freuen, wenn Sie durch Ihre Teilnahme das Fest verschönern helfen.“

Ein halbes Jahr vor dem Ereignis erreichte mich ein Brief des Bürgermeisters. Er informierte mich über  Vorbereitungen, die in der Pfarre getroffen wurden. „Die Freude über die kommende Primiz ist besonders bei älteren Leuten so groß, dass sie schon fiebern und die Hoffnung haben, dieses seltene Fest erleben zu dürfen. Weil man ein Geschenk machen will, muss man frühzeitig mit allen über Anschaffung und Finanzierung nachdenken. Man will monatlich eine Sammlung abhalten, damit es keinem schwerfällt, sich zu beteiligen.“

Eine Lehrerin, die ihre Wohnung aufgab und in ein Altenheim übersiedelte, hielt Ausschau nach einem Neupriester, dem sie ihr hochwertiges Kaffee-Service überlassen konnte, das sie im neuen Domizil nicht benötigte. Ein Lehrer-Kollege erfuhr davon und brachte mich, ohne dass ich davon wusste, als Interessent ins Spiel. Er knüpfte Kontakte und arrangierte einen „Übergabetermin“.

Dieser scheiterte, da in dem Augenblick, als das Porzellan zum Abholen bereit stand, ungebetene Gäste erschienen, vor denen die Aktion geheim gehalten werden sollte. Ein neuer Termin wurde anberaumt – mit dem Ergebnis, dass ich das weiße Porzellan mit dem schmalen Goldrand bis heute benutzen darf.

Leider kann ich der Wohltäterin keine Nachricht senden an ihre Adresse in ihrer jetzigen himmlischen Heimat  und ihr schildern, was aus dem von ihr beschenkten Neupriester geworden ist. Sie darf jedoch gewiss sein, dass ich sie und das Kaffee-Service in Ehren halten werde.

Alle, die eingeladen waren oder sich eingeladen fühlten, kamen, um den Neupriester zu feiern – die weit angereiste Tante und der offizielle Gemeindevertreter. Das Fest führte alle zusammen und erfüllte sie mit Stolz, manche mit der Genugtuung, dass ich einer der Ihren war, und dass sie dazu gehörten.

Nachbarschaft und Pfarrjugend, Frauengemeinschaft und Schule, Sportverein und Gemeindeverwaltung  – alle waren anwesend, um den Neupriester mit Ehrungen und Ovationen zu überhäufen. „Lobet den Herrn“.  „Mit der ganzen Pfarrgemeinde freuen wir uns über das große Ereignis.“ Sympathie-Bekundungen, die ehrlich gemeint waren.

Viele betrachteten sich als Durchschnitts-Christen und lebten ihrer Meinung nach ein eingeschränktes christliches Leben im Vergleich mit dem Neupriester. Sie stuften sich als Katholiken zweiter Klasse ein. Ich war in ihren Augen in höherem Maße Christ als sie. In mir sahen sie den vollkommenen Menschen, der ein gottgeweihtes, vielleicht exotisches Leben führen wollte.

Ich lebte für sie in einer anderen Welt, ähnlich dem Götterfreund Ibykus in Friedrich Schillers Ballade. Sie machten mich zum Idol, das sie auf den Sockel hoben, und stellten mich in ihr schönstes Licht. Ich befand mich im Vorhof des Allerheiligsten. In meiner Nähe fühlten sie sich dem Himmel näher. Dieses Leben, ein Leben ohne Ecken und Kanten, würde nicht misslingen. Heraufziehende Stürme konnte es nicht geben.

Mit Fahnenabordnungen, Messdienern und weiß gekleideten Mädchen geleiteten sie mich zur Messfeier  in die Kirche. „Halleluja“. „Missa brevis“.„Sehr geehrter Hochwürdiger Primiziant“. “Telegramme und Glückwünsche für den Herrn Neupriester“. „Zum heutigen Festtag alles Gute“. „Wir gestatten uns, Ihnen ein Geschenksparbuch zu überreichen“. Szenen-Applaus und Jubelspalier.

Sie feierten ein Fest – ihr Fest.

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