Eine Stadt auf Tour

Eine Kolumne von Gastautor Peter Josef Dickers

Mit 250.000 Besuchern rechnet die Stadt an jenem Sonntag und verdoppelt damit auf einen Schlag ihre Einwohnerzahl. Über einen verkaufsoffenen Sonntag wird aus dem Anlass nachgedacht; allerdings müssten noch Sicherheitsaspekte überprüft werden, schränkt der Oberbürgermeister ein. Brauchen könnte die Stadt volle Geschäfte und volle Kassen. 400.000 Euro kostet der Sonntag die Tour-willige Stadt. Genaue Kostenkalkulationen stehen noch aus, heißt es vorsichtshalber. Das Geld glaubt man irgendwie eintreiben und so die Konten der Stadt wieder auffüllen zu können. Unnötige Festlegungen gilt es zu vermeiden. Es gibt zudem Sponsoren, die garantieren sollen, dass auf Konten, von denen Beträge abgezweigt wurden, auch wieder eingezahlt wird. Dass man sich am Ende Kosten so zurechtlegt, dass sie in jedes Rechenschema passen, behaupten nur Böswillige. Auch ein runzeliges Gesicht lässt sich schön schminken. Mut wird belohnt, Übermut weniger.

Immerhin sind auf der Haben-Seite 250 Euro teure VIP-Plätze auf der Tribüne vor der geplanten Großbildleinwand zu verbuchen. „Very Important Persons“ werden bereitwillig für ein besonderes Sichtvergnügen zahlen. Sonstige Hotspots wie Hüpfburgenlandschaften werden zwar kaum dazu beitragen, dass sich die Schwind-Sucht des Stadtsäckels in Grenzen hält, aber sie sollen mithelfen, dass sich das Tour-Fieber bis in die entferntesten Winkel der Stadt und der umliegenden Gemeinden ausbreitet.

Das bevorstehende Ereignis hält die Stadt in Atem. Sie scheint berauscht von sich selbst, obwohl sie noch etliche Zeit ihren Vorbereitungs-Atem konstant halten muss. Neues entsteht nicht auf Kommando, sondern aus vielen Teilen. Man kann nicht auf Erfahrungen früherer Jahre zurückgreifen, auch nicht in vertrauten Mustern denken. Innovative Ideen sind gefragt. Den Markt der Möglichkeiten gilt es zu erkunden. Ein Ende der Machbarkeit sieht man nicht erreicht.

Das Ereignis ist erst-malig und wird aller Voraussicht nach ein-malig bleiben –  so etwas wie ein Himmelsgeschenk. „Wenn das Glück anklopft, sollte man zu Hause sein“, sagt ein Sprichwort. Dass es ein zweites Mal an die Tore der Stadt pochen wird, ist so schnell nicht zu erwarten.

Was steht an? Nicht der Papst hat sich angekündigt. Keine ranghohen Würdenträger der internationalen Finanzwelt wollen die Stadt mit ihrer Gegenwart beehren. Fahrradfahrer sind es, die auf einer ihrer vielen Teilstrecken Richtung Ziel ein paar Asphalt-Kilometer dieser Stadt unter ihre Räder nehmen. Viel Zeit werden sie nicht haben, um sich darüber zu wundern, dass sie hier sind. Sie haben es eilig und werden nicht gelassen ihre Zeit hier vertreiben. Nicht nur für sie ist Tempo zum Maßstab unserer Zeit geworden. Daher werden sie sich zwischendurch auch keinen Baum-frei gewordenen Blick auf die „Gute Stube“ der Stadt gönnen.

Zugegebenermaßen werden es nicht jene Radfahrer sein, die zu normalen Tageszeiten die städtischen Radwege nutzen, um an ihre Arbeitsplätze zu gelangen oder um Freizeit-Müßigfahrten zu huldigen. Die Radfahrer sind Renn-Fahrer. Sie rennen nicht um ihr Leben, sondern kämpfen mit und ohne himmlisch-irdische Zuwendungen darum, nach dreitausend abgestrampelten Kilometern möglichst als Erster die Champs-Élysées zu erreichen.

Die Stadt nimmt Anteil am Tour-Spektakel.  Es wird ein Spektakel werden – nach Wikipedia ein Schauspiel, das Aufsehen erregt. Das Rahmenprogramm darf unspektakulär sein, muss aber zum Spektakel passen und Stress-Tests aushalten können. An jenem Sonntag wird die Stadt ihren großen Auftritt haben. Sie wird sich groß fühlen, geachtet und beachtet, mag sie auch von Neidern trotz ihrer tatsächlichen Größe manchmal für klein gehalten werden und sich nicht gewürdigt fühlen. Der magische Geruch kommender Bedeutsamkeit verleiht ihr Flügel.

Die Stadt ist auf Tour. Im Wettstreit um Aufmerksamkeit hat sie auf jeden Fall zugelegt. Ehemalige Tour-Größen tragen dazu bei.

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