Hohe und zu hohe Erwartungen

pendeluhr

Unter den Glückwunsch-Schreiben, die ich erhielt, fehlten nicht mahnende Stimmen. Ein Mit-Student, der ein halbes Jahr früher als ich geweiht worden war, schickte mir einen Glückwunsch, der sich von anderen Segenswünschen unterschied:

„Zu Deiner Priesterweihe möchte ich Dir herzlich gratulieren. Vor wenigen Tagen wurde ich gefragt, ob sich meine Erwartungen erfüllt hätten. Ich habe geantwortet, dass ich mich seit Beginn der Seminar-Zeit bemüht habe, alle Vorstellungen von dem, was auf mich zukommen könnte, zu unterdrücken, um mich unbelastet dem stellen zu können, was mich erwarten würde.

Wenn ich die ersten Monate rückschauend betrachte, war meine Einstellung richtig. Es haben sich schöne Momente ergeben und andere, die mich niederdrückten. Den positiven Erfahrungen folgten negative und umgekehrt.

Das bewahrte mich vor Selbstsicherheit bzw. Niedergeschlagenheit. Dabei ging der feurige Idealismus des Anfangs allerdings verloren. Für diese Nüchternheit in der Einschätzung wirst auch Du etwas übrig haben, wie ich weiß. Darum wünsche ich sie Dir besonders dann, wenn sie nicht leicht fällt.

Was ich Dir zur Nüchternheit, geboren aus der mit ihr verbundenen  Unbefangenheit, auch noch wünsche, ist eine Portion Fröhlichkeit. Was kann einen dann noch erschüttern? Die Freude am Dienst wird wachsen.“

Über „Gott und die Welt“ hatten wir uns bei vielen Gelegenheiten ausgetauscht. Daher verstand ich seine Botschaft und ihre Mahnung. Sie war und blieb bedenkenswert.

Sein Brief liegt immer noch in der obersten Schublade meines Schreibtischs. Kein anderes Schreiben habe ich  öfter gelesen als dieses. Seine Mahnungen habe ich nicht überhört.  

 

0 - 0

Thank You For Your Vote!

Sorry You have Already Voted!