Im Bus auf Tour

Mein Busfahrer ist kein Frühaufsteher. Das verrät er mir in einer Fahrpause.
Ansonsten darf ich mit dem Fahrer nicht sprechen – so steht es auf dem Schild.
Da nicht viele Fahrgäste um 13.09 Uhr in die Linie 10 Richtung Flughafen einsteigen, kann der Fahrer gelassen seine Tour starten. Gestern hatte er dienstfrei. Die Schwüle musste er nicht im Bus ertragen. Er hätte sich mit der „Kurze- Hose-Klimaanlage“ begnügen müssen, betont er.

Heute ist es kühler. Außerdem regnet es. Seit neunzehn Jahren fährt der Fahrer Bus.
Dass sein Gefährt in der Ferienzeit ziemlich leer bleibt, sieht er positiv. Die Türen lassen sich ordnungsgemäß schließen, weil niemand nach Schulschluss in den Bus stürmt. Das Wechselgeld in der Kasse wird ausreichen.
Nur einzelne Fahrgäste werden erst im Bus nach ihrem Portemonnaie suchen. Die junge Frau mit der roten Geldbörse benötigt sehr viel Zeit, ehe sie den Zwanzig Euro-Schein gefunden hat.
Der Fahrer bleibt gelassen. Sein Geduldsfaden werde strapaziert, sagt er mir später, wenn Fahrgäste in allen Hosentaschen nach Kleingeld suchen, obwohl die Tickets vorher überall zu haben sind.
Viele Fahrgäste lässt der Fahrer mit einem Kopfnicken passieren, da sie eine Wochen- bzw. Monatskarte haben.

Erstaunlich viele steigen mit „Tag“ oder „Hallo“ ein. Man kennt sich. Man grüßt sich.
Siebeneinhalb Stunden lang Bus fahren. Auf Tour gehen mit dem Busfahrer. Ich sehe, was ich sonst nicht sehe.
Wie ein Beutestück präsentiert die resolut aussehende Dame ihren Fahrausweis. Wie ein Geheimpapier hält ihn der junge Mann mit Schlapphut in seiner Mappe versteckt; er gewährt nur einen kurzen Blick darauf.
Manches übersehe er, erklärt mir der Fahrer.
Den jungen Mann, der ihn fragt, wo der Doktor wohnt, kann er nicht bis zum Sprechzimmer fahren, aber er beschreibt ihm die Haltestelle, an der er aussteigen muss. Hinten im Bus wird laut protestiert. Eine Dame möchte aussteigen. Das fällt ihr ein, als der Bus an der Haltestelle vorbeifährt. Sie gibt dem Fahrer die Schuld, der keine Freigabe für das Öffnen der Tür erteilte.

Das fahrerische Können bewundere ich. Verkehrsschilder stehen oft so dicht am Straßenrand, dass der Außenspiegel des Busses heil bleibt, weil der Fahrer Millimeterarbeit leistet. Dass er sich beherrscht, als ein Autofahrer den Bus kurz vor der Ampel auf der Linksabbiegerspur überholt, steigert meinen Respekt.

Als der Fahrer im zweiten Teil seiner Schicht die Linie 8 übernimmt, bin ich skeptisch.
Sieben Mal Volksgarten und zurück – wie hält er das aus? Erfahrung, sagt er. Wahrscheinlich kennt er bei der fünften Runde jeden Mülleimer an der Straße. „Welchen Bus kann ich morgen früh nehmen?“ An einer Haltestelle fragt jemand danach, der um 8.45 Uhr am Bahnhof sein will. „Nehmen Sie einen Bus früher, damit Sie pünktlich sind.“
Meine Skepsis verfliegt. Busfahrer sind nicht nur Busfahrer, sondern eine besondere Gattung Mensch.

Einmal Busfahrer, immer Busfahrer? Für den 88-jährigen Herrn, der zusteigt, scheint das zu gelten. Er zeigt mir seinen Personenbeförderungsschein, der seit dreißig Jahren nicht mehr gültig ist. Er sei Busfahrer gewesen, vertraut er mir an. Den Ausweis habe er immer dabei. Man könne nie wissen.

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