Prosit Neujahr

Ein Jahreswechsel ist wieder vollzogen. Alles soll neu und anders werden,  unbelastet wie frisch gefallener Schnee. Prosit! Auf ein gutes Neues Jahr!

Meistens verschlafe ich das Ereignis. Was soll sich schon ändern? Das Datum. Das ändert sich täglich. Das neue Jahr wird sich vermutlich genauso anfühlen wie das alte. Ohne mein Zutun vergeht die Zeit, entschwinden Tage und Wochen. Nicht immer nehme ich es wahr.

Ängste und Befürchtungen, schaurige Geschichten und Prognosen überhöre ich. Über Untergangsprophezeiungen und Probleme in der Welt zerbreche ich mir nicht den Kopf. Der Nebel der Ungewissheit wird sich auch in Zukunft nicht lichten.

„Bleibe, wie du heute bist, der Himmel dir dann sicher ist.“ Ein Schild mit diesem Spruch hing über unserer Haustür, als ich in Kindertagen zur Erstkommunion in die Kirche geführt wurde.

Was machte meine Vorfahren so zukunftssicher und gelassen? In ihrem Weltbild nach dem Krieg galt es, Schlechtes zu vergessen und Gutes zu erhoffen. Beständigkeit war ihr Lebens- und Überlebens-Prinzip. Sie verbanden damit den Wunsch nach überschaubaren und geordneten Verhältnissen, trotz vieler Widrigkeiten um sie herum.

Eine überreizte Gesellschaft mit den Segnungen des Fortschritts, dem Veränderungsstress und Geräusch-Pegel und den dauererregten Medien wäre ihnen zuwider gewesen. Die heutige Konsum-Kultur hätte nicht zu ihrem Leben gepasst.

Nicht „Bleibe, wie du heute bist“, sondern Wechsel-Fieber ist dagegen unser Leitmotiv. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“, verkündet der Liedermacher Wolf Biermann.

Dennoch rückt bei vielen die Sehnsucht nach Beständigem wieder in den Vordergrund: Dauerhafte Zugehörigkeit zu einer Firma, das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, für manche auch die partnerschaftliche Treue.

Andererseits gilt: Die demokratische Verfassung unseres Staatswesens schließt Änderungen nicht aus; sie ermöglicht sogar Grundgesetz-Änderungen. Auch Gesetze haben ihre Zeit. „Das  Leben gehört dem Lebendigen an.“ „Wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“ So philosophierte Goethe und gab dem Werte-Wandel das Wort.

Neues schaffen und Altes bewahren – das ist kein Widerspruch. „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit. Neues Leben blüht aus den Ruinen.“ Im Drama „Wilhelm Tell“ hat Friedrich Schiller formuliert, dass man sich von Zeit zu Zeit von festgefahrenen Verhältnissen lösen, sein Zimmer verlassen und nach neuen Ufern ausschauen  muss.

Für den, der nur auf Unverrückbares  setzt, ist das keine wünschenswerte Sicht der Dinge. Das Leben kennt aber nicht nur Beständigkeit. Oft werden unsere Lebenspläne durchkreuzt. Erprobte, bewährte  Rollenmuster haben keinen Anspruch auf Ewigkeit.Ich wünsche uns ein gutes Neues Jahr. Prosit Neujahr allen Lesern, Angehörigen  und Freunden von mg-heute! Möge das Neue Jahr gut werden! Möge das Neue Jahr Erprobtes und Bewährtes für uns bereit halten! Möge uns das Neue Jahr Mut machen, uns auf Neues einzulassen. Möge uns dabei das Kölner Grundgesetz, Paragraph 3, zu Hilfe kommen: Et hätt noch immer jot jejange.

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