Reglementiert und behütet

Mit der Fürsorge gegenüber erwachsenen Seminaristen nahm es die Ordnung der „Vita Communis – Leben in der Gemeinschaft“ ernst. Sich fürsorglich gebende Institutionen rechnen mit dankbaren Untergebenen. Dass die Obrigkeit Richtlinien-Kompetenz besaß und Regularien für ein Gemeinschaftsleben festlegte, war legitim. Welchen Ermessensspielraum sie sich  zubilligte, Richtlinien des ritualisierten Tagesablaufs auch umzusetzen, darüber hätte sich reden lassen. Unabhängigkeit von Ordnung oder Autorität verlangte niemand.

„Lebensordnung“ nennt sich die Ordnung eines anderen, heutigen Priesterseminars. Das Leben in der Seminar-Gemeinschaft soll dem Einzelnen Hilfen anbieten, sein Christsein zu vertiefen und die mögliche Berufung zum Priestertum zu klären, heißt es. Jeder trage persönlich Verantwortung für seinen Weg in der Gestaltung des Tages, des Studiums und des geistlichen Lebens.

Ein weit entfernter Ansatz von den Reglementierungen damals. Für unseren Weg glaubte ausschließlich die bischöfliche Behörde Entscheidungen treffen zu müssen. Ihr hierarchisches Denken legte fest, was richtig war. Sie erwartete, dass wir uns den Direktiven unterordneten und ihre Definition vom „richtigen“ priesterlichen Leben bejahten.

Obwohl der Regens, der Leiter des Seminars, von solchen Vorstellungen nicht erbaut war, wurden wir in Schutzhaft genommen und erfreuten uns fürsorglicher Belagerung.

Andere legten fest, was gelingendes priesterliches Leben ausmachte. „Mein Joch ist sanft, meine Bürde ist leicht.“ Ob man sich auf diese biblische Aussage berief und nur süße Lasten sah, die es zu tragen galt? Ich  erzählte daheim nichts davon. Ich wäre nicht verstanden worden.

„Die Seminaristen nehmen am kulturellen Leben der Stadt und der Umgebung teil.“ So steht es in der erwähnten Lebensordnung des anderen Seminars. Wir hätten uns die Augen gerieben, wäre uns das möglich gewesen. Unser Seminar verließen wir vor allem auf dem Weg zum Gottesdienst im Dom.

„In einer im Stundenplan festzulegenden Stunde üben sich die Seminaristen auf ihren Zimmern im Choral-Singen.“ Private Gesangsproben erklangen theoretisch unisono von Zimmer zu Zimmer und zwar dann, wenn sie verordnet waren.  Auf der Landkarte des Seminar-Lebens gab es wenige weiße Flecken.

Unabhängig davon habe ich das  „Gaudete in Domino semper – Freut euch alle Zeit im Herrn“, das die Choral-Schola am Dritten Adventssonntag in der Seminar-Kapelle anstimmte, gern mitgesungen. Gregorianischer Choral übte eine Faszination aus. Ich empfand ihn als gesungene Meditation. Die sich wiederholende, ruhige und dennoch voran eilende Melodie brachte mich zur Ruhe. Schade, dass ich nicht viel von dieser Erfahrung mit in die Gegenwart genommen habe.

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