Die feste Burg

pendeluhr

Priesteramtskandidaten erbaten Tonsur, Subdiakonat- und Diakonat-Weihe, drei Stationen vor der Priesterweihe, „in tiefer Ehrfurcht“ von „Seiner Eminenz, dem Hochwürdigsten Herrn Kardinal“. Aus unserer Sicht keine unterwürfige Geste. Unseren Namen setzten wir unter ein Formblatt, das Ergebenheit und  Huldigung des Adressaten für selbstverständlich hielt.

Demütiges Gesuch, gnädig erwartete Antwort. Die Etikette sah es so vor. Gesellschaftliche Konventionen, Höflichkeitsformeln, verbindliche Regeln galt es zu beachten. Sich darüber hinweg zu setzen, kam uns nicht in den Sinn. Wir waren, ohne es auszusprechen, wo möglich der Ansicht, dass jemand, der sich vor Seiner Eminenz verbeugte, auch selbst einmal ein gerütteltes Maß an Ansehen beanspruchen konnte.

Vorboten der 68er Genration, die ein paar Jahre später alle Konventionen über den Haufen warf, waren wir nicht. Mit der Etikette waren wir einverstanden wie mit der Choreographie der Hochämter, die wir mit dem Bischof und dem Domkapitel im Dom feierten.

Bei der Weihe-Zeremonie lagen wir ausgestreckt auf dem Boden im Chorraum. „Adsum – Ich bin bereit“ erklärten wir dem Bischof. Für Familienangehörige und andere Anwesende emotionaler Höhepunkt der Weihe-Liturgie. Für uns, die da lagen, die Bereitschaft, uns vorbehaltlos einem Anderen zu übergeben. Späterer Aufbruch zu neuen Ufern ausgeschlossen.

Der Ruf Gottes war nicht provisorisch ergangen. Er galt nicht für einen begrenzten Zeitabschnitt. Göttlich verheißene Gewissheit und himmlischer Beistand ließen uns auf ewig „füreinander bestimmt“ sein. Kein Priestersein auf Probe.

Wir vertrauten keinem göttlichen Atlas, der in der griechischen Mythologie das Himmelsgewölbe stützte. Kirche und Welt würden auch ohne ihn im Lot bleiben.   Die Kirche war Festung Gottes. „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Martin Luthers Kirchenlied garantierte Sicherheit. Es würde eine Ehre sein, an hervorragender Stelle in diesem Haus dienen zu dürfen. Dass dieses Haus Schaden erleiden könnte oder dass wir jemals seinen verderblichen Glanz beklagen müssten – kein Denken daran.

Wir glaubten trotz der hinter uns liegenden, behüteten, teilweise gegen die Außenwelt abgeschirmten  Ausbildungs-Jahre die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen und nicht mit dem Rücken zur Wirklichkeit zu stehen. Wir hatten die Gegenwart nicht aus den Augen verloren und agierten nicht hinter zugezogenen Gardinen. Wir sahen uns offen für die Welt und die Menschen und waren gewillt, möglichen Konfrontationen nicht aus dem Weg zu gehen.

Dass in der alten Dorfkirche die holzgeschnitzten Figuren ihre Plätze räumen mussten, hätten sich die Apostel und Evangelisten nicht träumen lassen. Wir glaubten das auch nicht. Dass sie in Wohnzimmer und Kellerbars gläubiger Privatleute einziehen und dort zur Ehre hauseigener Altäre erhoben würden, erst recht nicht.

Dass Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe unter Führung Martin Luther Kings in den USA einen Freiheitsmarsch nach Montgomery organisierten, betraf uns anscheinend nicht. Dass die Vereinigten Staaten Luftangriffe auf Nordvietnam flogen, ebenfalls nicht. Gefahren waren weit weg.

Hatten Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Zeit meines studentischen Aufenthaltes an der Universität im burgundisch-alemannischen Grenzgebiet keine Bedeutung mehr? Waren die Ereignisse auf Kuba und an anderen Brennpunkten der Welt irrelevant? Woher rührte meine jetzige Einschätzung, mich sicher fühlen zu dürfen?

Ich suchte nicht nach Antworten. Mehr beschäftigte mich die Frage, ob ich mit dem Laisierungs-Begehren Sicherheits-Garantien aufs Spiel setzen wollte, die man mir gewährt und die ich genossen hatte? Ich zögerte.

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