Falten

„Paparazzo“-Skulptur in Bratislava. Foto: Dickers

Ob es bei mir nicht zu spät sei. Ob auch reife Haut über sechzig behandelt werden könne, fragte ich. Aber natürlich. Fortschrittliche Medizin betrachte den Menschen als Ganzes, nicht nur sein Alter. Sensible Beratung und sanfte Methodik seien mir gewiss, und ein angenehmes Ambiente gebe zusätzliche Sicherheit.

Es ist wahr: Die Spuren der Zeit machen sich in meinem Gesicht und am Hals bemerkbar. Mein Alter wird sichtbar, und grimmig registriere ich im Spiegel alle Anzeichen des Verlustes meiner Jugend. Knitterfalken, Mimikfalten, Zornesfalten. Meine Faltentabelle hat es in sich. Ich wollte etwas dagegen tun.
Dass Krähenfüße mit dem Gesicht und nicht mit meinen unteren Gliedmaßen zu tun haben, das lernte ich bei der ersten eingehenden Beratung. Ob ich viel in der Sonne sitze. Ob ich dem Tabak und dem Alkohol fröne. Wie ungesund meine Ernährung sei.

Auf ein Beichtgespräch hatte ich mich nicht vorbereitet. Ziemlich hilflos wanderten meine noch halbwegs intakten Augen über die Lifting-Tafel mit dem Auslandsdeutsch. Hyaluron, Kollagen, Gore-Tex, Botulinum. Ich wurde ertappt. In meinem Alter seien andere Maßnahmen erforderlich und nicht Methoden einer Eingangsbehandlung. Heutige Naht-Techniken seien geeignet, sichtbare Narben zu verhindern. Schwellungen und Blutergüsse träten kaum noch auf.
Wieso kam nun doch mein Alter zur Sprache? Unwillkürlich betastete ich mit den Händen meine Stirn und meinen Hals. So übel fühlten sie sich gar nicht an. Auch die Lippenkonturen konnte ich eindeutig nachziehen. Irgendwie hatte ich meinen Spiegel daheim in Verdacht wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Aber die Beratung war schon bei der Nasenkorrektur angekommen. Sie sei besonders wichtig, hörte ich sagen. Die Attraktivität des Gesichts hänge sehr von der Harmonie der Nase ab. Mit einer kombinierten Korrektur von Nase, Mund und Kinn könne man mir ein harmonisch ausgewogenes Profil modellieren. Vor meinen kunstgeschulten Augen tauchten im Geiste Picasso-Bilder auf. Picasso-Salat hatte meine Frau abfällig geäußert, als sie die verbogenen, verschachtelten, verdrehten Gesichter in der Galerie betrachtete. Ob ich diesen nachher ähneln würde?

Meine Zweifel wuchsen. Stationärer Aufenthalt? Nur in Ausnahmefällen notwendig. Postoperative Beschwerden? Nicht der Rede Wert. Aber ich war schon draußen. Ich dachte an Dürers Bild von der „Mutter“, das über meinem Schreibtisch hängt. Ein Gesicht voller Falten. Falten sind ganz schön, sie passen zu mir, sagte ich mir.

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