Lauter die Glocken nicht klingen

Es weihnachtet, obwohl noch nicht Weihnachten ist. Nikolaus-Party. Christkindl-Markt. Nirgendwo „Stille Nacht“.

Dem entkomme ich nicht bei meinem adventlich-vorweihnachtlichen Bummel. Es weihnachtet, wo ich es nicht vermute. Die Kneipe an der Ecke preist ein Weihnachtsbier an. Was Bier mit Advent und Weihnachten zu tun hat, sagt niemand.

Lauter die Glocken nicht klingen als jetzt schon. Aus Sorge, zu spät zu kommen? Weil es im Kalender steht? Menschen, denen ich begegne, erwecken nicht den Eindruck, sich nach Weihnachten zu sehnen. Mit der Gegenwart erklärt man das Leben, befriedigt Unterhaltungs-Bedürfnisse. Man wird nicht satt davon. Mark Twain erklärte es so: „Vergangenheit ist, wenn sie nicht mehr wehtut.“

Aus dem Lautsprecher scheppert „Jingle Bells“. Gemeint sind die Schellen am winterlichen Pferdegeschirr. Wer weiß das? Klimpern sollen sie. Passt zur Plätzchen-süßen Stimmung. Hört sich gut an. Advent und Weihnachten erhalten eine neue Identität. Nicht Strohsterne und Kerzen, sondern Plastik-Kirschen, Plastik-Zweige schmücken die Plastik-Tannenbäume. Man muss nicht froh, aber munter sein.

Diese Art Weihnachten im Advent zu feiern braucht Erleuchtung, Flutlicht, schattenlose Helligkeit. Weihnachten im Advent überstrahlt alles, macht die Nacht zum Tag. Die Heiligen Drei Könige würden ihren Stern nicht finden in dem Gefunkel. In der Welt des ewigen Leuchtens, in der die Nächte ihre Dunkelheit verlieren, bräuchten sie ein Navigationsgerät.

Lähmende Belehrung ist jedoch fehl am Platz. Die Welt, das Leben, die Traditionen ändern sich. Auch die Art und Weise, Advent und Weihnachten zu feiern. Was Feste bedeuten, muss jede Zeit, müssen die Menschen jeder Zeit neu beantworten. Ähnlich erging es den biblischen Weihnachtstexten. Die Erzählungen sind nach und nach gewachsene Geschichten. Es dauerte lange, bis sie die heutige Form gefunden hatten.

Wenn auf dem Marktplatz viele hundert kleine und große Weihnachtssänger „O du fröhliche“, „Stille Nacht, heilige Nacht“ in den abendlichen Himmel schicken als zusätzliche Glockenklänge, spricht das für die „Sehnsucht nach ein bisschen Frieden“ in diesen aufgeregten Tagen, die durch kein Getöse unterdrückt werden kann.
„Schenken Sie Denkanstöße“, empfiehlt eine Tageszeitung. Eine Idee für den Gabentisch.

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